Cronin, Justin
einmal. Vierundfünfzig Jahre, seit Jonas sie alleingelassen hatte. Sie
rührte in dem Topf, in dem dies und jenes köchelte, das Fleisch von einem
fetten Opossum, das ihr in die Schlinge gegangen war, und herzhaftes Gemüse,
die haltbaren Knollen, die sie für den Winter eingekellert hatte. Auf den
Wandborden standen Gläser mit den Samen, die sie jedes Jahr aussäte. Es waren
die Nachkommen derer, die Jonas in den Säcken hergebracht hatte. Zucchini und
Tomaten, Kartoffeln und Kürbisse, Zwiebeln und Rüben und Salat. Sie brauchte nicht
viel, und manchmal aß sie tagelang oder sogar wochenlang kaum etwas. Aber Peter
würde Hunger haben. Er war genau so, wie sie ihn sich vorgestellt hatte: jung
und stark und mit einem entschlossenen Gesicht. Allerdings hatte sie irgendwie
angenommen, er würde größer sein.
Sie sah, dass er sie stirnrunzelnd anschaute.
»Du bist ganz allein ... seit fünfzig Jahren?«
Sie zuckte die Achseln. »Es war eigentlich gar
nicht so lange.«
»Und du hast
den Funkmast aufgestellt.«
Der Funkmast - den hätte sie fast vergessen.
Aber natürlich musste er danach fragen. »Oh, das hat der Doktor getan«, sagte
sie, und sie vermisste ihn schmerzlich, als sie so redete. Sie schaute weg,
hörte auf zu rühren, wischte sich die Hände mit einem Lappen ab und nahm die
Teller vom Tisch. »Lauter solche Sachen. Immer hat er irgendetwas gebastelt.
Aber zum Reden haben wir noch genug Zeit. Jetzt essen wir.«
Sie servierte ihnen den Eintopf, und sie freute
sich, als Peter herzhaft zulangte. Amy, das sah sie, tat nur so, und Lacey
selbst hatte überhaupt keinen Appetit. Richtigen Hunger verspürte Lacey schon
lange nicht mehr. Wenn es Zeit wurde, etwas zu essen, meldete sich ihr Verstand
und bemerkte beiläufig, als gehe es um das Wetter oder die Tageszeit: Es
wäre gut, jetzt etwas zu essen.
Sie saß da und sah Peter zu, und Dankbarkeit
erfüllte sie. Draußen lastete die dunkle Nacht auf dem Berg. Sie wusste nicht,
ob sie noch eine Nacht erleben würde. Bald wäre sie frei.
Nach dem Essen stand sie vom Tisch auf und ging
ins Schlafzimmer. Das kleine Zimmer war sparsam möbliert; es gab nur das Bett,
das der Doktor gebaut hatte, und eine kleine Kommode, in der sie die wenigen
Dinge aufbewahrte, die sie brauchte. Die Kisten standen unter dem Bett. Peter
war am Vorhang stehengeblieben. Schweigend sah er zu, als sie niederkniete und
sie herauszog. Es waren zwei Militärkisten; früher hatten sie Gewehre
enthalten. Amy stand jetzt hinter Peter und beobachtete Lacey neugierig.
»Helft mir, sie in die Küche zu tragen«, sagte
Lacey.
Wie viele Jahre lang hatte sie sich diesen
Augenblick ausgemalt! Sie stellten sie neben dem Tisch auf den Boden. Wieder
ging Lacey in die Knie und öffnete die Schließen an der ersten Kiste, die sie
für Amy aufbewahrt hatte. Darin lag Amys kleiner Rucksack, den sie im Kloster
getragen hatte. Die Power Puff Girls.
»Das ist deiner«, sagte sie und legte ihn auf
den Tisch.
Einen Moment lang schaute das Mädchen ihn nur
an. Dann zog sie bedächtig und sorgfältig den Reißverschluss auf und nahm die
Sachen heraus, die darin waren. Eine Zahnbürste. Ein kleines T-Shirt, formlos
vom Alter, mit der Aufschrift »Frechdachs« in glitzernden Pailletten. Eine
verschlissene Jeans. Und ganz unten war ein ausgestopfter Hase aus braunem
Baumwollsamt, der eine hellblaue Jacke trug. Der Stoff war brüchig; ein Ohr war
ganz zerbröselt, und nur eine Drahtschlaufe ragte aus dem Kopf.
»Schwester Claire hat dir das T-Shirt gekauft«,
sagte Lacey. »Ich glaube, Schwester Arnette hat es nicht gefallen.«
Amy hatte die anderen Sachen auf dem Tisch
beiseitegeschoben. Sie hielt den Hasen in den Händen und schaute ihm ins
Gesicht.
»Deine Schwestern«, sagte sie, und sie hob den
Kopf und sah Lacey an. »Waren aber keine ... richtigen Schwestern.«
Lacey setzte sich vor ihr auf einen Stuhl. »Ganz
recht, Amy. Das habe ich zu dir gesagt. Wir sind Schwestern in den Augen
Gottes.«
Amy senkte den Kopf wieder und strich mit dem
Daumen über das Fell des Hasen.
»Er hat ihn mir gebracht. Ins Krankenzimmer. Ich
erinnere mich an seine Stimme. Wie er mir sagte, ich solle aufwachen. Aber ich
konnte ihm nicht antworten.«
Lacey spürte Peters Blick. Er beobachtete sie
aufmerksam. »Wer hat das gesagt, Amy?«
»Wolgast.« Ihre Stimme kam aus weiter Ferne. Sie
hatte sich in der Vergangenheit verloren. »Er hat mir von Eva erzählt.«
»Eva?«
»Sie ist gestorben. Er hätte sein Herz für
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