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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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Ort, denn als Carter seinen Mund
an ihren Hals drückte, um den sanften Schlag ihres Herzens in sein eigenes zu
saugen, da fühlte sie es. All seinen Schmerz und seine Ratlosigkeit, die lange,
traurige Geschichte dessen, der er war. Das Bett aus Lumpenbündeln unter der
Straßenbrücke, den Schweiß und den Dreck auf seiner Haut. Den großen,
glänzenden Wagen mit einem Kühlergrill aus diamantenen Zähnen, der neben ihm
anhielt, und die Stimme der Frau, die seinen Namen durch das schmutzige Tosen
der Welt rief. Den süßen Duft von frisch gemähtem Gras und die Kühle eines
beschlagenen Glases Tee. Den Sog des Wassers und die Arme der Frau, Rachel
Wood, die ihn festhielt und immer tiefer hinabzog. Es war sein Leben, das sie
in sich fühlte, sein kleines menschliches Leben, das er nie so sehr geliebt hatte
wie die Frau, deren Geist er jetzt in sich trug - denn auch den konnte Lacey
fühlen -, und als seine Zähne sich in das weiche Fleisch ihres Halses bohrten
und Laceys Sinne mit der Hitze seines Atems erfüllten, hörte sie ihre eigene
Stimme: Gott segne Sie. Gott segne und bewahre Sie, Mr
Carter.
    Dann war er fort. Sie lag blutend auf dem Boden,
die Zeit verging, die Übelkeit begann. Was den Weg von ihm zu ihr finden
sollte, war geschehen, das wusste sie. Lacey schloss die Augen und betete um
ein Zeichen, aber da kam kein Zeichen. Genau wie damals auf dem Feld, nachdem
die Männer sie verlassen hatten, als sie noch ein kleines Mädchen war. In
dieser dunklen Stunde schien es, als habe Gott sie vergessen, doch als die
Morgendämmerung den Himmel über ihrem Gesicht öffnete, kam aus der Stille die
Gestalt eines Mannes. Sie hörte seine Schritte auf der weichen Erde, roch den
Rauch an seiner Haut und in seinen Haaren. Sie wollte sprechen, aber kein Wort
kam aus ihrem Mund, und auch der Mann sprach sie nicht an und nannte nicht
seinen Namen. Wortlos nahm er sie auf den Arm wie ein kleines Kind, und Lacey
glaubte, das sei Gott selbst, der gekommen war, um sie in sein Haus im Himmel
zu holen. Seine Augen waren überschattet, sein Haar war ein dunkler Kranz um
seinen Kopf, wild und schön wie sein Bart, der dicht und grau sein Gesicht
verhüllte. Er trug sie durch die rauchenden Ruinen davon, und sie sah, dass er
weinte. Das sind die Tränen Gottes, dachte Lacey, und sie sehnte sich danach,
die Hand zu heben und sie zu berühren. Sie war nie auf den Gedanken gekommen,
dass Gott weinen könnte, aber natürlich konnte er es. Gott würde die ganze Zeit
weinen. Er würde weinen und weinen und niemals aufhören. Der Friede der
Erschöpfung durchströmte sie, und eine Zeitlang schlief sie. Sie wusste nicht,
was als Nächstes passiert war, aber als es vorbei und die Übelkeit vergangen
war, hatte sie die Augen geöffnet und gewusst, dass er es getan hatte: Er hatte
sie gerettet. Sie hatte den Weg zu Amy gefunden. Endlich hatte sie den Weg
gefunden. Lacey, hörte sie. Lacey,
hör zu.
    Sie tat es. Sie hörte zu. Die Stimmen wehten
über sie hinweg wie der Wind über das Wasser, wie das Blut durch den Körper.
Überall ringsumher.
    Höre sie, Lacey. Höre sie alle.
     
    Und so kam es, dass sie all die Jahre hindurch
gewartet hatte. Sie, Schwester Lacey Antoinette Kudoto, und der Mann, der sie
durch den Wald getragen hatte und der doch nicht Gott war, sondern ein Mensch.
Der gute Doktor - so nannte sie ihn, auch wenn sein Taufname Jonas war. Jonas
Lear. Der traurigste Mann auf der ganzen Welt. Zusammen hatten sie das Haus auf
der Lichtung gebaut, in dem Lacey immer noch wohnte - nicht viel größer als die
Hütten an den staubigen Straßen und lehmig roten Feldern ihrer Jugend, aber
solider, dauerhafter. Der Doktor erzählte ihr, er habe schon einmal ein Haus
gebaut, eine Hütte an einem See in den Wäldern von Maine. Dass er diese Hütte
zusammen mit seiner Frau Elizabeth gebaut hatte, die dann gestorben war,
erzählte er ihr nicht, aber das war auch nicht nötig. Auf dem verlassenen
Versuchsgelände gab es alles in Hülle und Fülle: Sie brauchten sich nur zu
bedienen. Das Holz hatten sie aus den niedergebrannten Trümmern des Chalets
geborgen. In den Lagerschuppen hatten sie Hämmer, Sägen, Hobel und Säcke mit
Nägeln gefunden, aber auch Zement und eine Mischmaschine, um das Fundament zu
gießen und die Feldsteine zu vermörteln, die sie beide für den Kamin
übereinanderwuchteten. Einen ganzen Sommer lang hatten sie die Asphaltschindeln
von den Dächern der Unterkünfte abgedeckt, nur um dann festzustellen, dass sie
undicht

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