Cronin, Justin
Traum war, achtete nicht darauf. Er bewegte
sich durch das pulsierende orangegelbe Licht.
Grey. Ich bin hier.
Das Licht war jetzt anders, golden. Grey war in
der Scheune, im Stroh. Ein Traum, der eine Erinnerung war - aber nicht ganz. Er
war voller Stroh, weil er sich darin gewälzt hatte; es hing an seinen Armen,
seinem Gesicht, in seinen Haaren, und der andere Junge war da, sein Cousin Roy,
der kein richtiger Cousin war, er nannte ihn nur so; und Roy war auch voller
Stroh und lachte. Sie hatten darin herumgetobt und sich ein bisschen gebalgt,
und dann hatte das Gefühl sich verändert, wie ein Lied sich verändern kann. Er
roch das Stroh und seinen Schweiß, der sich mit Roys mischte, und das alles
verband sich für seine Sinne zu dem Geruch eines Sommernachmittags in der
Kindheit. Roy sagte leise: Ist schon okay, zieh die Jeans aus, ich zieh meine
auch aus, da kommt niemand. Mach's wie ich, ich zeig's dir, es ist das beste
Gefühl der Welt. Grey kniete neben ihm im Stroh.
Grey. Grey.
Und Roy hatte recht; es war das beste Gefühl der Welt. Als ob man im Sportunterricht ein
Seil hinaufkletterte, nur noch besser. Als ob ein machtvolles Niesen sich in
ihm aufbaute, das tief unten anfing und durch alle Gänge, Gassen und Kanäle in
seinem Innern heraufstieg. Er schloss die Augen und ließ das Gefühl kommen. Ja.
Ja. Grey, hör doch. Ich komme.
Aber es war nicht nur Roy, der bei ihm war -
nicht mehr. Grey hörte das Gebrüll und dann die Schritte auf der Leiter, als
verändere sich das Lied noch einmal. Sein Vater gebrauchte den Gürtel, den
schweren schwarzen. Grey brauchte ihn nicht zu sehen, um es zu wissen, und er
vergrub das Gesicht im Stroh, während der Gürtel auf seinen nackten Rücken
herabkam, klatschend, reißend, wieder und wieder, und dann war da noch etwas
anderes, tieferes, das ihn von innen heraus zerriss.
Das gefällt dir, ja? Das hast du gern? Ich
werd's dir zeigen, sei still und nimm, was du verdienst.
Dieser Mann - er war nicht sein Vater. Jetzt
erinnerte Grey sich wieder. Er gebrauchte nicht nur seinen Gürtel, und es war
nicht sein Vater, der ihn gebrauchte; sein Vater war durch diesen Mann ersetzt
worden, diesen-Mann-namens-Kurt-der-jetzt-dein-Daddy-ist, und durch dieses Gefühl, innerlich zerfetzt zu werden, wie
sein richtiger Vater sich auf dem Fahrersitz seins Trucks zerfetzt hatte an dem
Morgen, als es geschneit hatte. Grey konnte nicht mehr als sechs Jahre alt
gewesen sein, als es passiert war. Eines Morgens wachte er auf, bevor
irgendjemand sonst auf den Beinen war, und das Licht schwebte mit leuchtender
Schwerelosigkeit in seinem Zimmer. Sofort wusste er, was ihn geweckt hatte: In
der Nacht hatte es geschneit. Er warf die Bettdecke zurück, riss die Vorhänge
auf und blinzelte in die glatte, neu erschaffene, helle Welt hinaus. Schnee! Es
schneite niemals, nicht in Texas. Manchmal gab es Eis, aber das war nicht
dasselbe, nicht wie der Schnee, den er manchmal in Büchern und im Fernsehen
sah, diese wundervolle warme Decke in Weiß, der Schnee der Schlitten und der
Skier, der Schnee-Engel, Schneeburgen, Schneemänner. Sein Herz machte einen
Satz im Angesicht dieses Wunders, der Reinheit des Möglichen und des Neuen,
dieses fantastischen, unvorstellbaren Geschenks, das draußen vor seinem
Fenster wartete. Er berührte die Scheibe und spürte, wie die Kälte auf seine
Fingerspitzen übersprang, ein plötzliches scharfes Kribbeln wie von einem
Stromschlag.
Hastig wandte er sich vom Fenster ab und zog
seine Jeans an, schob die bloßen Füße in die Turnschuhe und schnürte sie nicht
einmal zu. Wenn dort draußen Schnee lag, musste er sich einfach in die weiße
Pracht stürzen. Er schlich sich aus dem Zimmer und die Treppe hinunter ins
Wohnzimmer. Es war Samstagmorgen. Am Abend zuvor hatten seine Eltern eine Party
gegeben - Leute im ganzen Haus, Unterhaltung und laute Stimmen, die er bis in sein
Zimmer gehört hatte. Der Zigarettengeruch hing noch jetzt in der Luft wie eine
klebrige Wolke. Seine Mutter und sein Vater würden oben noch stundenlang
schlafen.
Er öffnete die Haustür und trat hinaus auf die
Veranda. Die Luft war kühl und still, und sie duftete, frisch wie saubere
Wäsche. Er atmete sie tief ein.
Grey. Schau.
Dann sah er ihn: den Pick-up seines Vaters. Er
parkte wie immer in der Einfahrt, aber etwas war anders als sonst. Grey sah
einen dunkelroten Fleck am Fenster auf der Fahrerseite - wie ein Spritzer aus
einer Lacksprühdose. Der Schnee machte ihn dunkler und röter. Er
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