Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
Vom Netzwerk:
Ausgang. Der Zoo ist geschlossen ...«
    Lacey lief jetzt im Kreis. Sie suchte einen
Ausgang und fand keinen. Löwen brüllten, und dazwischen gellten die Schreie von
Pavianen, Meerkatzen und den Stummelaffen, die sie in Sommernächten vor ihrem
Fenster gehört hatte. Die Geräusche kamen aus allen Himmelsrichtungen und
erfüllten ihren Kopf wie ein Chor, schwirrten hin und her wie Gewehrschüsse,
wie die Schüsse auf dem Feld, wie die Stimme ihrer Mutter, die aus der Tür
schrie: Lauft weg, lauft weg, lauft, so schnell ihr
könnt.
    Sie blieb stehen. Plötzlich fühlte sie es.
Fühlte ihn. Den Schatten. Den Mann,
der nicht da war und doch da war. Er war hinter Amy her, das wusste Lacey
jetzt. Der dunkle Mann würde Amy auf das Feld bringen, wo die Äste waren, die
Lacey Stunde um Stunde angestarrt hatte, während sie dalag und in die Höhe
schaute, wo am Nachthimmel langsam der Morgen graute, und sie Geräusche hörte,
die Geräusche dessen, was mit ihr passierte, die Schreie, die aus ihrem Mund
kamen. Aber sie hatte ihren Geist aus dem Körper entlassen und hoch
hinaufgeschickt, durch die Äste hinauf zum Himmel, wo Gott war; das Mädchen auf
dem Feld war jemand anders, niemand, an den sie sich erinnern konnte, und die
Welt war umhüllt von einem warmen Licht, das sie für alle Zeit beschützen
würde.
    Ein bitterer Salzgeschmack war in ihrem Mund,
aber das war nicht nur das Wasser aus dem Bassin. Sie weinte jetzt auch; sie
sah den Weg vor sich durch einen Tränenschleier und hielt Amy fest umschlungen,
als sie weiterrannte. Dann sah sie ihn: den Erdnussstand. Er tauchte vor ihr
auf wie ein Leuchtfeuer, der Stand mit dem großen Sonnenschirm, wo sie die
Erdnüsse gekauft hatte, und dahinter, wie ein offenes Maul, das breite
Ausgangstor. Wärter in gelben Hemden bellten in ihre Walkie-Talkies und
winkten die Leute hektisch durch. Lacey holte tief Luft, drückte Amy an sich
und stürzte sich ins Gedränge.
    Sie war nur noch ein paar Schritte vom Ausgang
entfernt, als eine Hand ihren Arm packte. Jäh fuhr sie herum: ein Wärter. Mit
der freien Hand winkte er über ihren Kopf hinweg jemand anderem zu, und sein
Griff wurde fester.
    Lacey. Lacey.
    »Ma'am, bitte kommen Sie mit...«
    Sie zögerte nicht lange, nahm ihre ganze Kraft
zusammen und riss sich mit einem Ruck los. Hinter sich hörte sie das Murren und
Schimpfen von Leuten, die sie zur Seite gedrängt hatte, und der Wärter schrie
ihr nach, sie solle stehen bleiben, aber Lacey rannte immer weiter, Richtung
Parkplatz, den näher kommenden Sirenen entgegen. Sie schwitzte und keuchte und
wusste, dass sie jeden Augenblick stürzen konnte. Sie wusste nicht, wohin sie
rannte, aber das war egal. Weg, dachte
sie, nur weg. Lauft, so schnell ihr könnt, Kinder.
Sie musste mit Amy von hier weg.
    Dann hörte sie hinter sich, irgendwo im Zoo,
einen Gewehrschuss. Der Knall durchschnitt die Luft, und Lacey blieb wie
angewurzelt stehen. In der plötzlichen Stille danach kam ein Van herangefahren
und hielt mit kreischenden Bremsen vor ihr. Es war ihr Van, sah Lacey, der
Wagen, den die Schwestern benutzten, der große blaue Van, mit dem sie zur
Volksküche fuhren und ihre Besorgungen erledigten. Einen Augenblick lang
fragte sie sich, woher sie wussten, was hier passierte. Schwester Claire,
immer noch im Jogginganzug, saß am Steuer. Ein zweites Auto, ein schwarzer
Personenwagen, hielt hinter ihnen an, als Schwester Arnette zur Beifahrertür
heraussprang. Leute strömten an ihr vorbei, und Autos jagten vom Parkplatz.
    »Lacey, was um alles in der Welt...«
    Zwei Männer stiegen aus dem zweiten Auto.
Dunkelheit umgab sie. Laceys Herz krampfte sich zusammen, und ihre Stimme
versagte. Sie brauchte nicht näher hinzuschauen, um zu sehen, was sie waren. Zu
spät! Alles war verloren!
    »Nein!« Sie wich zurück. »Nein, nein, nein!«
    Arnette packte sie beim Arm. »Schwester, nimm
dich zusammen!«
    Leute zerrten an ihr. Hände wollten ihr das Kind
entreißen. Mit aller Kraft, die sie noch hatte, drückte Lacey die Kleine an die
Brust. »Nein!«, schrie sie. »Helft mir!«
    »Schwester Lacey, diese Männer sind vom FBI!
Bitte tu, was sie sagen!«
    »Nehmt sie nicht weg!« Jetzt lag Lacey am Boden.
»Nehmt sie nicht weg! Nehmt sie nicht weg!«
    Es war also Arnette. Schwester Arnette wollte
Amy wegnehmen. Es war wie damals auf dem Feld: Lacey trat und schlug um sich
und schrie. »Amy! Amy!«
    Ein heftiges Schluchzen schüttelte sie, und die
letzten Kräfte verließen ihren Körper. Amy wurde

Weitere Kostenlose Bücher