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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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weiß, dass diese Ladies
da drüben wohnen. Sie müssen entschuldigen, dass ich einfach so anrufe.«
    »Wer spricht da?«
    »Sorry.« Er sprach hastig und klang abgelenkt.
»Mein Name ist Joe Murphy. Ich bin der Sicherheitsbeauftragte im Zoo von
Memphis.« Im Hintergrund kam Unruhe auf, und er sprach kurz mit jemand anderem. Machen Sie einfach das Tor auf, sagte
er. Los, machen Sie schon.
    Er sprach wieder mit ihr. »Wissen Sie etwas über
eine Nonne, die mit einem kleinen Mädchen hier sein könnte? Eine schwarze Lady,
gekleidet wie Sie alle da?«
    Eine summende Schwerelosigkeit erfüllte
Schwester Arnettes Kopf wie ein Bienenschwarm. An diesem wunderschönen Morgen
war etwas passiert, etwas Schreckliches. Die Küchentür öffnete sich, und die
beiden FBI-Agenten kamen herein, gefolgt von Schwester Claire und Schwester
Louise. Alle schauten sie an.
    »Ja, ja, ich kenne sie.« Arnette bemühte sich,
die Stimme zu senken, doch sie wusste, dass es sinnlos war. »Was gibt's denn?
Was ist denn los?«
    Einen Moment lang kamen nur gedämpfte Geräusche
aus dem Hörer; der Mann im Zoo hatte die Hand auf die Sprechmuschel gelegt. Als
er sie wieder wegnahm, hörte sie Geschrei, weinende Kinder und dahinter noch
etwas anderes: Tierstimmen. Affen und Löwen und Elefanten und Vögel kreischten
und brüllten. Arnette brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie diese
Laute nicht nur durch das Telefon hörte. Sie kamen auch durch das offene
Fenster, sie hallten quer durch den Park bis in die Küche.
    »Was ist denn passiert?«, fragte sie
flehentlich.
    »Kommen Sie lieber her, Schwester«, sagte der
Mann. »Das ist das Verrückteste, was ich je gesehen habe.«
     
    Lacey war atemlos, bis auf die Haut durchnässt.
Sie trug Amy auf dem Arm, drückte die Kleine an ihre Brust und lief durch den
Zoo, verirrt im Labyrinth der Wege. Das Mädchen weinte und schluchzte in ihre
Bluse - was mache ich denn?, fragte
sie, was mache ich denn? -,
und auch alle anderen Leute rannten. Angefangen hatte es mit den Eisbären, die
immer wilder geworden waren, bis Lacey das Kind von der Scheibe weggerissen
hatte, und dann hatten sich die Seelöwen dahinter in manischer Raserei ins
Wasser gestürzt und waren wieder herausgeschossen. Lacey hatte daraufhin
kehrtgemacht und war hastig zur Mitte des Zoos gelaufen, und da waren die
Steppentiere, Gazellen und Zebras und Okapis und Giraffen, wie wild im Kreis
herumgaloppiert und gegen die Zäune gerannt. Amy war es, die sie dazu brachte,
dass wusste Lacey - irgendetwas an Amy. Was immer mit den Eisbären passiert
war, passierte jetzt mit allem, nicht nur mit den Tieren, sondern auch mit den
Menschen: ein Chaos, das sich ringförmig über den ganzen Zoo verbreitete. Sie
kamen an den Elefanten vorbei, und sofort spürte sie ihre Größe und Kraft; sie
stampften mit ihren massigen Füßen auf den Boden, hoben die Rüssel und
trompeteten durch die Hitze von Memphis. Ein Nashorn attackierte den Zaun
seines Geheges, dass es krachte wie bei einem Autounfall, und fing wütend an,
mit seinem gewaltigen Horn dagegenzustoßen. Die Luft war erfüllt von diesen
Geräuschen, laut, schrecklich und schmerzhaft. Die Leute rannten umher und riefen
nach ihren Kindern, sie drängten und schoben und stießen einander, und die
Menge teilte sich vor Lacey, die immer weiterlief.
    »Das ist sie!«, rief eine Stimme, und die Worte
trafen Lacey von hinten wie ein Pfeil. Sie fuhr herum und sah den Mann mit der
Kamera. Er stand neben einem Zoowärter in einem pastellgelben Hemd und zeigte
mit dem Finger auf sie. »Und das ist das Kind!«
    Sie drückte Amy noch fester an sich, drehte sich
um und rannte weiter, vorbei an Käfigen mit kreischenden Affen, an einem Teich,
auf dem Schwäne schrien und mit den großen, nutzlosen Flügeln schlugen, und an
hohen Käfigen, aus denen das Kreischen von Urwaldvögeln gellte. Eine entsetzte
Menschenmenge strömte aus dem Reptilienhaus. Eine Gruppe panischer Schulkindern
in roten T-Shirts kam ihr in die Quere; sie schlängelte sich um sie herum und
wäre beinahe gefallen, aber irgendwie gelang es ihr, sich aufrecht zu halten.
Der Boden vor ihr war übersät von Hinterlassenschaften der Flüchtenden -
Broschüren, Kleidungsstücken, zerlaufenden Eiskugeln, die noch am Papier
klebten. Eine Gruppe von keuchenden Männern stürmte vorüber; einer trug ein Gewehr.
Von irgendwoher verkündete eine Stimme mit roboterhafter Ruhe:
    »Der Zoo ist geschlossen. Bitte begeben Sie sich
sofort zum nächst gelegenen

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