Cronin, Justin
der Westschleife
wurde immer dichter. Über seinem Kopf dröhnte es wie ein langer Güterzug auf
ratternden Gleisen.
»Hallo?«, rief jemand aus dem Auto. Eine
Frauenstimme, und sie hatte Mühe, das Tosen des Autoverkehrs und den Echohall
unter der Brücke zu übertönen. »Hallo, Sie? Sir? Verzeihen Sie, Sir!«
Als er an das offene Fenster herantrat, spürte
Carter die kühle, klimatisierte Luft aus dem Wageninneren an seiner Haut. Er
roch den süßen, rauchigen Geruch von neuem Leder und, als er noch näher kam,
auch den Duft von Parfüm. Sie beugte sich zum Beifahrerfenster herüber, und ihr
Körper straffte den Sicherheitsgurt. Sie hatte die Sonnenbrille hochgeschoben.
Eine Weiße natürlich. Das hatte er schon gewusst, bevor er sie sah. Ein
schwarzer Denali mit glänzendem Lack und einem riesigen, spiegelblanken
Kühlergrill. Der San Felipe Drive in östlicher Richtung, der von der Galleria
Shopping Mall nach River Oaks führte, wo die großen Villen standen. Aber die
Frau war jung, jünger, als er gedacht hätte bei einem solchen Auto, höchstens
dreißig, und was sie trug, sah aus wie Tenniskleidung - ein weißer Rock und ein
passendes Top, und die Haut feucht und glänzend. Glattes Haar, blond mit
dunkleren Strähnen, aus dem Gesicht gekämmt und zurückgebunden. Eine zierliche
Nase, hohe Wangenknochen. Er sah keinen Schmuck außer einem Ring mit einem
Diamanten, so groß wie ein Zahn. Er wusste, er sollte nicht genauer hinschauen,
aber er konnte nicht anders: Er ließ den Blick durch den hinteren Teil des
Wagens wandern. Da war ein leerer Kindersitz, über dem buntes Plüschspielzeug
hing, und daneben auf dem Sitz eine große Einkaufstüte, die aus Papier war,
aber aussah wie Metall. Darauf stand der Name des Geschäfts: Nordstrom's.
»Was immer Sie übrig haben«, stammelte Carter.
»Gott segne Sie.«
Ihre Handtasche, ein Riesending zum Umhängen aus
Leder, lag auf ihrem Schoß. Sie wühlte den Inhalt heraus und warf ihn neben
sich auf den Sitz: einen Lippenstift, ein Adressbüchlein, ein winziges, juwelenähnliches
Telefon. »Ich möchte Ihnen etwas geben«, sagte sie. »Ist ein Zwanziger genug?
Geben das die Leute? Ich weiß es nicht.«
»Gott segne Sie.« Carter wusste, dass die Ampel
jetzt grün werden würde. »Was immer Sie übrig haben.«
Sie zog ihre Brieftasche hervor, als hinter
ihnen die erste ungeduldige Hupe ertönte. Die Frau drehte sich hektisch um und
blickte dann hinauf zur Ampel, die jetzt grün leuchtete.
»O verdammt, verdammt.« Hastig blätterte sie in
ihrer Brieftasche, so groß wie ein Buch, mit Druckknöpfen und Reißverschlüssen
und Fächern voller Zettel. »Ich weiß es nicht«, sagte sie immer wieder. »Ich
weiß es nicht.«
Das Gehupe nahm zu, und dann gab der Wagen
hinter ihr, ein roter Mercedes, aufbrüllend Gas, schoss auf die mittlere Spur
hinüber und schnitt einen SUV. Der Fahrer des SUVs trat auf die Bremse und
drückte endlos auf die Hupe.
»Tut mir leid, tut mir leid«, sagte die Frau.
Sie starrte ihre Brieftasche an wie eine verschlossene Tür, deren Schlüssel sie
nicht finden konnte.
»Hier ist nur Plastikgeld. Ich dachte, ich hätte einen Zwanziger, vielleicht war es
aber auch ein Zehner, o verdammt, verdammt...«
»Hey, du Arschloch!« Ein Mann streckte den Kopf
aus dem Seitenfenster eines großen Pick-ups, zwei Autos hinter ihnen. »Siehst
du die Ampel nicht? Mach die Straße frei!«
»Ist schon gut«, sagte Anthony und wich zurück.
»Sie müssen weiterfahren.«
»Bist du taub?«, schrie der Mann. Wieder gellte
die Hupe. Er schwenkte einen nackten Arm aus dem Fenster. »Mach Platz da,
verdammt!«
Die Frau verrenkte den Rücken, um in den
Rückspiegel zu schauen. Sie riss die Augen weit auf. »Seien Sie still!«, rief
sie erbittert und schlug mit den Fäusten auf das Lenkrad. »Mein Gott, seien Sie
doch still!«
»Lady, fahren Sie Ihren Scheißwagen aus dem
Weg!«
»Ich wollte Ihnen etwas geben. Mehr wollte ich
nicht. Ich wollte doch nur helfen ...«
Carter begriff, dass es Zeit war, zu verduften.
Er wusste, was als Nächstes kommen würde: Eine Autotür würde auffliegen,
wütende Schritte kämen heran, ein Männergesicht, dicht vor ihm, zähnefletschend - Belästigst du die Lady? Was fällt dir ein, Junge? -,
und dann noch mehr Männer, keine Ahnung, wie viele, es waren immer viele in
solch einem Moment, und was immer die Frau sagen würde, sie würde ihm nicht helfen
können, denn sie würden sehen, was sie sehen wollten: einen schwarzen Mann
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