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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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wir werden
Freunde werden. Ich spüre es einfach.«
    Und sie waren Freunde
geworden, genau wie sie es gesagt hatte. Das war das Merkwürdige. Er und diese
weiße Lady, Mrs Wood mit ihrem Mann - der alt genug war, um ihr Vater zu sein,
auch wenn Carter ihn fast nie zu Gesicht bekam -, mit ihrem großen Haus unter
den Immergrüneichen mit dem satten Rasen und den Hecken, mit ihren beiden kleinen
Töchtern - da war nicht nur das Baby, sondern auch die Größere, genau wie ihre
Schwester eine niedliche Maus, und beide sahen aus wie aus einem Bilderbuch. Er
spürte es ganz tief im Innern, bis ins Mark: Sie waren Freunde. Sie hatte mehr
für ihn getan als irgendjemand sonst. Es war, als habe sie die Tür ihres Wagens
geöffnet, und dahinter war ein großes Zimmer, und in dem Zimmer waren Menschen
und Stimmen, die ihn beim Namen nannten, wenn sie mit ihm sprachen, und Essen
und ein Bett zum Schlafen und alles andere. Sie hatte ihm Arbeit gegeben, nicht
nur in ihrem Garten, sondern auch in anderen Häusern, und überall, wo er hinkam
und den Rasen mähte, nannten die Leute ihn »Mr Carter« und fragten ihn, ob er
heute vielleicht noch eine Kleinigkeit extra erledigen könnte, weil sie Besuch
bekämen: das Laub von der Terrasse blasen oder Stühle lackieren oder den
verstopften Gully sauber machen oder sogar ab und zu den Hund ausführen. Mr
Carter, ich weiß, Sie haben viel zu tun, aber wenn es Ihnen nicht allzu viele
Umstände macht, könnten Sie dann nicht. Und er sagte immer ja,
und in dem Umschlag unter der Fußmatte oder im Blumentopf waren dann jedes Mal
zehn oder zwanzig Dollar mehr, ohne dass er darum bitten musste. Er mochte
diese anderen Leute, aber in Wahrheit interessierten sie ihn nicht; er tat
alles nur für sie. Mittwochs, am besten Tag der Woche - an ihrem Tag -, winkte
sie ihm vom Fenster aus zu, wenn er den Rasenmäher aus der Gerage schob, und
manchmal, sehr oft eigentlich, kam sie aus dem Haus, wenn er fertig war und
aufräumte; sie legte sein Geld nicht unter die Matte wie die andern, sondern
gab es ihm in die Hand, und vielleicht setzte sie sich dann noch kurz auf ein
Glas Eistee mit ihm auf die Terrasse und erzählte ihm alles Mögliche aus ihrem
Leben, aber sie fragte ihn auch nach seinem. Sie saßen im Schatten und
unterhielten sich wie richtige Menschen. Mr Carter, sagte
sie dann, Sie sind ein Gottesgeschenk. Mr Carter, ich
weiß nicht, wie ich ohne Sie jemals zurechtgekommen bin. Sie sind der
Puzzlestein, der noch gefehlt hat.
    Er hatte sie geliebt. Das war die Wahrheit. Und
es war das Geheimnis, das traurige, tragische Geheimnis bei all dem. Als er
jetzt in der kalten Dunkelheit lag, spürte er, wie ihm die Tränen kamen, wie
sie tief aus seiner Brust heraufstiegen. Wie konnte irgendjemand behaupten, er
habe Mrs Wood etwas getan, wenn er sie doch so sehr geliebt hatte? Denn er
wusste Bescheid. Er wusste, obwohl sie lächelte und lachte und zum Shoppen, zum
Tennis und zum Friseur ging, war da etwas Leeres in ihr. Das hatte er schon am
ersten Tag im Auto gesehen, und es hatte sein Herz angerührt, als könne er
diese Leere für sie füllen, nur weil er es wollte. An den Tagen, an denen sie
nicht in den Garten herauskam - was im Laufe der Zeit immer öfter vorkam -, sah
er sie manchmal stundenlang auf dem Sofa sitzen. Sie ließ sogar das Baby
schreien, wenn es nass oder hungrig war, und rührte keinen Finger. Es war, als
sei alle Luft aus ihr entwichen. An manchen Tagen sah er sie überhaupt nicht,
und dann vermutete er, dass sie sich irgendwo tief im Haus verkrochen hatte und
traurig war. An solchen Tagen tat er mehr als sonst; er stutzte die Hecken
oder jätete ein bisschen Unkraut auf dem Weg und hoffte, wenn er nur lange
genug wartete, werde sie mit dem Tee herauskommen. Der Tee bedeutete, dass es
ihr gutging, dass sie wieder einen Tag überstanden hatte, an dem sie sich
schrecklich fühlte, wie sie es oft tat.
    Und an jenem Nachmittag im Garten - an jenem
furchtbaren Nachmittag - hatte er das größere Mädchen, Haley, allein
angetroffen. Es war im Dezember, das Wetter nasskalt. Der Pool war voller Laub,
und das kleine Mädchen, das in die Vorschule ging, trug die blauen Shorts ihrer
Schuluniform und eine Kragenbluse und sonst gar nichts, nicht mal Schuhe, und
sie saß auf der Terrasse. Sie hielt eine Puppe im Arm, eine Barbie. Ist heute
denn keine Schule?, fragte Carter, und sie schüttelte den Kopf, ohne ihn
anzusehen. War ihre Mama da? Daddy ist in Mexiko, sagte das Mädchen und
fröstelte in

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