Crossfire 2: Feuerprobe
wollte. Alex hatte das meiste davon schon
vorher gehört.
Sobald orbitale und bodengestützte Waffensysteme zur Sprache
kamen, verließen die Quäker den Saal. Alex wusste, dass
sie zur Abstimmung zurückkehren würden. Vermutlich
würden sie der Evakuierung zustimmen, die Gegenoffensive aber
ablehnen. Doch es waren nicht genug, um die Abstimmung zu
entscheiden.
Julian hatte gewonnen. Jake nickte zustimmend, während Julian
weitersprach. Einige andere taten es auch. Aber als Alex nach Lau-Wah
Ausschau hielt, konnte sie ihn nirgends entdecken. Er musste mit den
Quäkern still und heimlich den Saal verlassen haben.
Sie spürte einen Knoten im Leib, obwohl sie nicht
erklären konnte, warum.
9. KAPITEL
EIN RANKENPLANET
Karim gewöhnte sich das Pfeifen an.
Nicht aus guter Laune oder aus Freude an der Musik oder gar wegen
der Erinnerung daran, wie sehr es Ranke Beta auf Greentrees gefallen
hatte. Diese Erinnerung hielt ihn sogar mehrere Tage lang davon ab,
überhaupt einen einzelnen Ton hervorzubringen. Aber
schließlich pfiff er einfach nur, um überhaupt ein
Geräusch zu hören, irgendein Geräusch in der
tödlichen Stille dieser Rankenkolonie.
Er pfiff Grieg.
Die fleischigen, reglosen Ranken um ihn her verharrten
lautlos.
Er pfiff Strauss.
Kein Widerhall kam von dieser Welt ohne Kanten.
Er pfiff Tanzmusik von der Erde, Moran und Parakinski und Jerzell,
tote Jahrhunderte, Lichtjahre entfernt.
Die Stille dauerte an.
Er lief zwischen den Ranken einher, unter ihren Auswüchsen,
die weder Blätter waren noch Tentakel noch Arme, sondern etwas,
was ihm vollkommen fremd war, ein Hintergrund, vor dem auch diese
Musik vollkommen fremd wirkte.
Er rannte, bis er nicht mehr pfeifen konnte, und dann weiter, bis
er sich nicht mehr bewegen konnte und in den Schlamm fiel. Keuchend
und blind und zornig fiel er auf die Knie, aber der Zorn half ihm
nicht weiter. Nichts half ihm weiter. Er war hier gefangen und
würde hier sterben, und seine und Lucys DNA würden
zerfallen und als Abnormität zurückbleiben, auf einer
lebenden Welt, die ihre Gegenwart nicht zur Kenntnis nahm.
Über ihm taten die reglosen Blätter/Tentakel/Arme
nichts.
Als er zu Atem gekommen war, stand Karim wieder auf. Bisher hatten
Lucys und seine Entschlossenheit, aus dieser schlammigen Hölle
zu entkommen, zu nichts geführt. Trotzdem wanderte Karim jeden
Tag umher und legte große Entfernungen zurück. Er hatte
Angst, nicht zu gehen, Angst, noch tiefer in der Leere zu versinken,
die er jetzt schon verspürte.
Er ging.
Er pfiff, aus Verzweiflung, Mozarts fröhliches »Rondo
alla Turca«. Dada di dada di…
Etwas antwortete. Karim sog erschrocken die Luft ein und geriet
ins Stolpern. Er griff nach dem fleischigen Stamm einer Ranke –
oder der Ranke, wenn sie wirklich alle untereinander verbunden
waren – und richtete sich wieder auf. Er lauschte.
Nichts.
Er hatte es sich nur eingebildet. Es musste Einbildung gewesen
sein.
Mit Lippen, die beinahe zu sehr zitterten, um gespitzt zu werden,
pfiff er das Rondo erneut.
Etwas antwortete mit einem einzelnen lang gezogenen, hohen
Laut.
Die Geräte in Karims Anzug funktionierten noch. Zitternd
bestimmte er die Richtung, aus der das Geräusch aufgeklungen
war, und ging dorthin. Alle hundert Meter pfiff er erneut, leckte
über seine trockenen Lippen und hielt danach die Luft an.
Jedes Mal antwortete etwas.
Und dann erreichte er sie – eine unregelmäßige
Grube, die an der breitesten Stelle vielleicht fünfzig Meter
durchmaß und bis zur Oberfläche etwa einen Meter tief war.
Karim trat näher heran.
Das dort drin war kein Wasser. Auch nicht der allgegenwärtige
Schlamm. In der Grube zuckte eine lebende Substanz, ein rosa-grauer
Brei aus… was? Vielleicht Bakterien. Es ähnelte vage
dem Biofilm, der das Innere des ersten Rankenschiffs ausgefüllt
hatte. Irgendwelche Mikroorganismen von fremdartiger, undefinierbarer
Beschaffenheit, entweder selbst vernunftbegabt oder die Diener der
vernunftbegabten Ranken.
Karim kniete am Rand der Grube nieder und spähte hinein. Die
Biomasse war undurchsichtig; seine Beobachtung verriet ihm nichts. Er
hockte sich auf die Fersen und pfiff Mozarts Rondo.
Die Biomasse antwortete mit einem einzelnen lang gezogenen
Laut.
Er starrte sie an. Eine Art Tropismus, automatisch und
vernunftlos? Er pfiff eine Tanzmelodie, einen von Cazzie Jerzells
fröhlichen, einfachen Rhythmen.
Die Biomasse wiederholte die Melodie.
Karim riss die Augen auf. Er versuchte es mit
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