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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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verlaufen, wäre der höheren, philosophischen Erkenntnis geweiht worden. Die Ungunst der Götter hatte ihn jedoch in einem am materiellen Erfolg orientierten, schöngeistigen Bestrebungen völlig abholden sozialen Umfeld groß werden lassen. Unter bornierten Bauernschädeln fasste ein Philosoph nur schwer Fuß. Jeder tiefe, spekulative Gedankengang, jegliche idealistische Geistesregung stieß bei diesen mit Blindheit und Unwissenheit geschlagenen Sturköpfen auf blankes Unverständnis, ja rigorose Ablehnung. Es war ihm müßig erschienen, den Toren und Tauben zu predigen. So hatte er sich zwangsläufig genötigt gesehen, den profanen Dingen des Lebens etwas Gutes abzuringen und sich auf den Erwerb materieller Besitztümer zu verlegen.
     
    Der Flur war finster. Seine Schritte klangen dumpf und schwer. All die Jahre allein im Wald hatte er über das Wesen der Natur, die Natur des Menschen nachgegrübelt. Paintinger war keiner der sich in abstrakten, in sich inkongruenten Theorien verlor, um den Ursprung des Universums zu ergründen. Es gab indes Tage, da gerieten seine Gedanken auf Abwege, beugten sich gefährlich weit über die Abgründe des Unwägbaren, Unerklärlichen, Unbegreiflichen. Woraus bestand die Substanz des Seins? Worin erfüllte sich der Sinn des Lebens? Je älter er wurde, desto drängender wurden diese Fragen, desto öfter flüchtete er in die Vergangenheit. Das Hier und Heute erschien ihm trivial, überflüssig, eine Glosse am Rand der wahren Geschichte.
                Die fernen Tage der Kindheit hingegen erschienen ihm im Rückblick wie ein Wunderland, ein von einer überirdischen Aureole umglänztes, verklärtes Märchenreich. Stundenlang saß er oft in Gedanken versunken auf dem Kanapee, die Fotoalben durchblätternd, die Schutthaufen fragmentarischer Erinnerungen durchwühlend. Schreckgespenstern gleich tauchten darin die faltigen Fratzen seiner Tanten auf: Stasi, Theres und die Chile-Resi. Das Tanten-Trio weckte zwiespältige, widerstreitende Gefühle in ihm. Mit fiebrig glänzenden Blicken hatten die jesushörigen Jungfern die Standhaftigkeit und Glaubensstärke jener Blutzeugen Christi, die ihr Martyrium im unerschütterlichen Glauben an die Auferstehung ertrugen, wie Sauerbier angepriesen. Mit bebender Stimme hatten Sie die Entschlossenheit gerühmt, mit der die Apostel für ihren Herrn Jesu ins Feuer gegangen waren. Mit tränennassen Augen hatten Sie ihren „Schnurliburli“ mit Kuchen, Törtchen und süßen Mehlspeisen verwöhnt und ihn in seinem Entschluss bestärkt, den Heiden das Evangelium zu predigen, in die Fußstapfen Christi zu treten, alle Ungerechtigkeiten und Anfeindungen in stummer Demut zu erdulden. Ja, eine zeitlang hatte er mit dem Brustton innerer Überzeugung den kindlichen Wunsch geäußert, wenn er einmal groß und stark war zu den Auserwählten des Herrn zu gehören. Solch Bekenntnisse aus dem Munde ihres Lieblingsneffen hatten die vertrockneten Jungfern gern gehört. Sie hatten ihren „Pauli“ nach Strich und Faden verhätschelt, ihren „Schnuzibuzi“ mit Nougatröllchen, Marzipankugerln und in Stanniolpapier gewickelte Pralinees gemästet, ihm mit Gläsern voller widerlich süßlich schmeckenden Kirschlikör den Glauben an den gütigen, gutmütigen „Himmelpapa“ eingeflößt, der täglich die Puttenparade abnahm und sich im Glanz seiner himmlischen Herrlichkeit sonnte. Eine Sinekure auf Lebenszeit – sprich bis in alle Ewigkeit. Dank der unausgesetzten Bemühungen seiner Tanten war er binnen Jahresfrist von einem gertenschlanken Bauernbuben zu einem unförmig aufgedunsenen Fettkloß mutiert. Irgendwann waren ihm jedoch Zweifel gekommen, ob das Idealbild, das seine Tanten vom Himmelreich und den Freuden des Märtyrerdaseins zeichneten, der Wahrheit entsprach. Die Darstellungen auf den Altarbildern, Deckenfresken und Kreuzwegstationen ließen den Zweifel in ihm laut werden: Gottvater mochte es sich im Himmel oben wohl sein lassen, auf Erden ging es derweil seinem Sohnemann, den Jüngern und Heiligen an den Kragen: da hing der gemarterte, gegeißelte „Menschensohn“ am Kreuz, da wurde einem Apostel bei lebendigem Leib die Haut über die Ohren gezogen, da wurde ein halbnackter Heiliger wie eine Bratwurst auf dem Grill geröstet. Und was tat Gottvater? Er legte die Hände in den Schoß und lächelte wie ein debiler Weissager vor sich hin. Merkte er denn nicht was da unten vor sich ging? Wieso brachte ihn die Boshaftigkeit der Büttel Beelzebubs, die

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