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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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Heimtücke der Teufelsknechte, die Niederträchtigkeit der schurkischen Satansjünger nicht auf die Palme? Hörte er nicht die verzweifelten Hilferufe Jesu, die jämmerlichen Schreie der Märtyrer? Ja, in seiner kindlichen Empörung hatte er den nichtsnutzigen, begriffsstutzigen Kerl zum Teufel gewünscht!
                Von da an war es vorbei mit „Schnuzibuzi“ und „Schnurliburli“. Er rebellierte, revoltierte, sprengte den fürsorglichen Belagerungsring der Tanten, verschmähte ihre Kekse, Sahneschnitten und Baisers, widerstand den Versuchungen des „süßen Jesus“, so dass er binnen eines Jahres wieder schlank und rank wie ehedem war.
     
    In der letzten Volksschulklasse waren die Grundfesten seiner christlichen Überzeugungen vollends erschüttert worden, war es zum endgültigen Zerwürfnis mit dem Messias und seinen Märtyrern gekommen. Die Schuld an diesem radikalen Gesinnungswandel trug niemand anders als ihr Religionslehrer: Frater Frumentius Rosmiller. Der Kooperator war ein verwachsener, missgestalteter Gnom, der seine Mitschüler mit endlosen inquisitorischen Fragen zum Leben und Sterben Jesu traktierte. Falls die Befragung nicht nach Wunsch verlief, griff der Kooperator zu „erzieherischen Disziplinarmaßnahmen“ – und verteilte großzügig Kopfnüsse, Ohrfeigen und Stockschläge. Gröbere Verfehlungen der „Malefizbuben“ ahndete er mit drakonischer Strenge: der Übeltäter musste vor versammelter Klasse die Hosen herunterlassen und bekam – je nach Schwere seines Vergehens – 5 bis 25 Stockhiebe auf den entblößten Hintern verabreicht. Um das Maß der Demütigungen voll zu machen musste sich der Delinquent vor Rosmiller niederknien und hundertmal die zehn Gebote aufsagen:
                „Du sollst nicht andere Götter haben neben mir! Du sollst deinen Herrgott nicht verlästern! Du sollst den Tag des Herrn heiligen!“
                An ihn, an „seinen Saulus“ hatte Frater Frumentius hingegen einen Narren gefressen. Nach jeder Stunde hatte er seinen „Lieblingsjünger“ mit einem vieldeutigen Lächeln die Wange getätschelt und ihn liebevoll am Ohr gezupft. Kurz vorm Ende des letzten Schuljahrs hatte sich indes seine „väterliche Zuneigung“ in Widerwillen und Abscheu verkehrt. Paintinger erinnerte sich noch wie heute an jenen glühend heißen Sommertag kurz vor den großen Ferien. Auf Geheiß des Kooperators stand er vor der versammelten Klasse und las seinen Mitschülern ein Kapitel aus dem ersten Buch Mosis vor:
                „Er baute das Holz auf, band seinen Sohn Isaak fest und legte ihn auf den Altar, oben auf die Holzstücke. Dann streckte Abraham seine Hand aus und nahm das Messer, um seinem Sohn die Gurgel durchzuschneiden. Da rief ihm der Engel des Herrn vom Himmel her zu und sprach: Strecke deine Hand nicht nach jenem unschuldigen Knaben aus. Tue ihm nichts an; denn jetzt erkenne ich, dass du ein gottesfürchtiger Mann bist und selbst deinen einzigen Sohn mir nicht vorenthalten hast. Abraham aber gab dem Ort den Namen: Der Herr sieht!“
                Rosmiller hatte ihn mit verliebten Blicken bedacht, seine wulstigen Froschmaullippen gespitzt und mit hoher, honigsüßer Kastratenstimme gesäuselt:
                „Hört ihr, der Herr sieht! Dieser Satz im Buch Mosis weist auf die Passion unseres Herrn Jesus Christus voraus! Was will uns diese Parallelität des Heilsgeschehens sagen, Paulus?“
                Rosmiller hatte die Angewohnheit seinem Primus, seinem Johannes dankbare Denkaufgaben zu stellen. Stets hatte er die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt, hatte auf das Stichwort des Kooperators hin, postwendend die gewünschte Antwort gegeben. In diesem Moment jedoch hatte sich irgendetwas in ihm gesperrt, wie ein dressiertes Schoßhündchen Männchen zu machen und das Stöckchen zu apportieren. Er hatte den verstockten Dummerjan gemimt, ehe er sich endlich zu einer Antwort bequemte:
                „Isaak hat er verschont, weil er schon wusste, dass Jesus dran glauben musste!“
                Rosmiller hatte ihn ungläubig, ja entsetzt angestarrt. Seine Kinnlade war auf und zugeklappt. Er schien nicht zu wissen, wie er auf diesen Affront, diese Ungeheuerlichkeit des renitenten Musterknaben angemessen reagieren sollte. Um das Maß voll zu machen, hatte Paulus mit vorlauter Stimme verkündet:
                „Der Herr sieht! Aber was tut er? Nichts! Was ist

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