Cruzifixus
Blut und Exkrementen den Atem raubte.
Altenbrunner wusste worum es im Krieg ging. Er beherrschte sein Metier. Er war Grad um Grad zum Meister der Schatten aufgestiegen. Einer der die hohe Kunst des schnellen, lautlosen Tötens perfektioniert hatte. Wer wie er reihenweise Bäuche aufgeschlitzt, Schädel gespalten und Gurgeln durchschnitten hatte, der wusste um das Gesicht des Grauens, der kannte die anämische Stille des Todes. Wer in den Abgrund der eigenen Monstrosität gestarrt hatte, der verfiel entweder dem Wahn oder dem Größenwahn oder die metallische Härte des Häschers herrschte über die „Menschlichkeit“, so dass nur noch das eigene Ich zählte. Wer nach fünf Jahren Front noch an Gott glaubte, der war ein Blödian, ein Narr. Es gab keinen Weltenlenker, keinen Allvater und wenn, dann ließ ihn die Hölle auf Erden völlig kalt. Und seine selbsternannten Stellvertreter? Die „Gottgesandten“, die „Volksführer“, die Archonten und Eparchen strebten nach Überhöhung ihrer egozentrischen Persönlichkeit – und scherten sich einen feuchten Kehricht um die Leiden und Nöte des Fußvolks. Wer in „göttlicher“ Mission unterwegs war, der glaubte fest und unverbrüchlich daran, dass der Zweck alle, auch die grausamten Mittel heiligte. Altenbrunner verachtete die Ideologen, die Demagogen und Phrasendrescher aus dem tiefsten Herzen des Kämpfers. Er glaubte nur an zwei Dinge: den Überlebenstrieb und die Urangst vor dem Tod. Ein Mörder – und jeder gute Soldat war einer – kannte nur Methodik und keine Moral. Wer die Feuerwalze auf sich zurollen sah und mit vollgeschissenen Hosen im Schützengraben hockte, der fragte nicht nach Volk und Führer. Der fragte sich nur, ob er hier lebend herauskam. Der Dschungel kannte keine Dialektik. Du oder Ich – das war hier die Frage!
Die Luft war lau und balsamisch. Es roch nach frischem Grün, nach feuchter Erde, nach Frühling. Altenbrunner sog den mit Sauerstoff gesättigten Äther bis in die Lungenspitzen. Der Alpdruck auf seiner Brust wollte indes nicht weichen. Wie ein Raubtier im Käfig schlich er auf und ab, wippte unruhig auf seinen Fußballen, blickte immer wieder aufs Ziffernblatt seiner Armbanduhr: acht Uhr fünfundvierzig.
Der stoßfeste, wasserdichte Chronometer mit den eingravierten Initialen „HA“ war ein Hochzeitsgeschenk seines reinrassig, blaublütigen Schwiegervaters: Graf Rasso von Ehrenfeld-Hartenstein. Der alte Knicker hatte ihn trotz seiner kleinbürgerlichen Vorfahren, seiner ungehobelten Manieren und seines großspurigen Auftretens als Eidam akzeptieren müssen. Der von Standesdünkel aufgeblasene Krautjunker hatte nichts unversucht gelassen, die Mesalliance seines Erbtöchterleins zu unterbinden. Dieser backenbärtige Bastard hatte sein störrisches „Stutchen“ unter Hausarrest gestellt und war daran gegangen eine standesgemäße Heirat mit einem reichen Laffen zu arrangieren. Als sich die „Widerspenstige“ nicht zähmen ließ und sich einer Verbindung mit dem parfümierten Parvenü verweigerte, hatte der alte Drecksack versucht ihn zu diskreditieren: er hatte eine ganze Bande mieser Schnüffler und Zuträger angeheuert, um etwas gegen ihn in die Hand zu bekommen. Vergebens – im Nazi-Staat war es durchaus von Vorteil SS-Offizier zu sein und über ein funktionierendes Netzwerk von Freunden und Kameraden zu pflegen. Durch seinen Freundeskreis hatte er erfahren, dass der Graf Gerüchte streuen ließ, um ihn als Morphinisten und Hurenbock zu diffamieren. Da war er jedoch an den Falschen geraten. Drei seiner Offizierskameraden hatten seinem Schwiegervater in spe einen unangemeldeten, nächtlichen Besuch abgestattet und ihm mit einem Schlag in die Magengrube unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass „Schluss mit lustig“ sei. Der Blaublüter war klug genug, den Wink mit dem Klappmesser zu verstehen – und hatte „hoch erfreut“ seine „herzallerliebste Friedelinde“ selbst zum Altar geführt. Bei jeder Gelegenheit, ließ ihn der „Herr Graf“ dennoch spüren, dass er den fremden Bock in seinem Revier nur duldete, damit dieser seine biologische Aufgabe – die Sicherstellung der Nachkommenschaft - erfüllte. Schließlich erschien es dem alten Blaubart als inopportun, sein „Stutchen“ selbst zu bespringen. Zudem konnte eine gelegentliche Blutauffrischung ja nicht schaden, um einer Degeneration der Gene vorzubeugen. Ansonsten achtete der
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