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Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Titel: Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Flynn
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das Kinn, eine Geste, die ich noch aus der Schule kannte. Es sollte heißen, dass sie einen angriff und das absolut gerechtfertigt fand. »Du weißt doch, wie schlimm deine Schwester ist, oder?«
    »Mädchen können eben gemein sein.«
    »Willst du sie auch noch verteidigen?«, fauchte Katie erbost. Ich spürte, wie ich in die politischen Verstrickungen von Wind Gap hineingezogen wurde, und geriet in Panik. An meinem Unterschenkel pochte
Zickenkrieg.
    »Ach, Katie, ich kenne sie doch gar nicht gut genug, um sie zu verteidigen«, sagte ich mit gespieltem Überdruss.
    »Hast du wegen diesen Mädchen bis jetzt auch nur eine Träne vergossen?«, fragte Angie. Sie hatten sich zusammengerottet und blickten mich nun drohend an.
    »Camille hat keine Kinder«, sagte Katie fromm. »Ich glaube, sie kann den Schmerz nicht so nachfühlen wie wir.«
    »Das mit den Mädchen tut mir sehr leid«, sagte ich, doch es klang künstlich, wie bei einer Schönheitskönigin, die sich für den Weltfrieden einsetzt. Ich war traurig, hätte es aber billig gefunden, es hier auszusprechen.
    »Das sollte jetzt nicht so grausam klingen«, meinte Tish, »aber wenn man keine Kinder hat, kann man auch nicht mit dem ganzen Herzen fühlen.«
    »Ganz deiner Meinung«, sagte Katie. »Ich bin erst eine richtige Frau geworden, als ich Madison in mir spürte. Heutzutage reden zwar alle vom Gegensatz zwischen Glauben und Wissenschaft, aber mir kommt es so vor, als wären sich beim Thema Kinder beide Seiten einig. Die Bibel sagt, seid fruchtbar und mehret euch, und die Wissenschaft meint letztlich auch, dass Frauen dazu da sind, oder? Um Kinder zu gebären, meine ich.«
    »Mädchenpower«, murmelte Becca leise.
     
    Becca fuhr mich nach Hause, weil Katie bei Angie übernachten wollte. Vermutlich würde sich das Kindermädchen morgen mit ihren beiden süßen Mädels amüsieren. Becca riss ein paar Witze über besessene Mütter, die ich mit leisem, krächzendem Gelächter quittierte.
Du hast leicht reden mit zwei Kindern
. Ich fühlte mich düster und verzweifelt.
    Zu Hause zog ich ein sauberes Nachthemd an und setzte mich mitten aufs Bett. Heute gibt’s nichts mehr zu trinken, flüsterte ich mir zu. Tätschelte meine Wange, entspannte die Schultern. Nannte mich Liebes. Ich wollte schneiden: An meinem Oberschenkel flammte
Zucker
auf,
tückisch
brannte neben meinem Knie. Ich wollte mir
unfruchtbar
in die Haut ritzen. So würde ich bleiben, meine Fortpflanzungsorgane unbenutzt. Jungfräulich und leer. Ich stellte mir mein aufgespaltenes Becken vor, im Innersten eine saubere Höhlung, ein verlassenes Nest.
    Die kleinen Mädchen.
Die Welt ist einfach nicht mehr in Ordnung
, hatte Mimi geschluchzt, was ich kaum registriert hatte, weil alle jammerten und heulten. Jetzt aber spürte ich es deutlich. Etwas war nicht in Ordnung, genau hier, und zwar auf grauenhafte Weise. Ich sah Bob Nash auf Anns Bett sitzen, als er sich zu erinnern versuchte, was er als Letztes zu seiner Tochter gesagt hatte. Ich sah Natalies Mutter, die in ein altes T-Shirt weinte. Ich sah mich, eine verzweifelte Dreizehnjährige, die schluchzend im Zimmer ihrer toten Schwester auf dem Boden lag und einen kleinen geblümten Schuh umklammerte. Oder Amma, ebenfalls dreizehn, eine Kindfrau mit hinreißendem Körper und dem quälenden Wunsch, das kleine Mädchen zu sein, das meine Mutter noch immer betrauerte. Meine Mutter, die um Marian weinte. Die das Baby biss. Amma, die ihre Macht ausspielte und lachte, als sie und ihre Freundinnen Natalie die Haare abschnitten, die Locken auf die Fliesen fallen ließen. Natalie, die einem anderen Mädchen in die Augen stach. Meine Haut schrie auf, mein Herzschlag dröhnte mir in den Ohren. Ich schloss die Augen, umschlang mein Kissen und weinte.
     
    Nachdem ich zehn Minuten ins Kissen geschluchzt hatte, kämpfte ich mich aus dem Weinkrampf heraus. Banale Dinge schossen mir durch den Kopf: wie ich John Keene für meinen Artikel zitieren konnte; dass nächste Woche meine Miete fällig war; wie der Apfel roch, der im Papierkorb neben dem Bett vor sich hinfaulte.
    Dann hörte ich, wie Amma vor der Tür meinen Namen flüsterte. Ich knöpfte mein Nachthemd zu, zog die Ärmel hinunter und ließ sie herein. Sie war barfuß und trug ein rosa geblümtes Nachthemd, das blonde Haar floss offen über ihre Schultern. Sie sah wirklich wunderbar aus.
    »Du hast geweint«, sagte sie erstaunt.
    »Ein bisschen.«
    »Wegen ihr?« Das letzte Wort wog schwer, ich stellte es mir rund und

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