Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)
meine, er
gehört
praktisch zu mir, das kann Ihnen jeder hier bestätigen.«
»Na ja, eigentlich ging es bei der Story nicht um dich und John«, sagte ich. Außer Merediths Atem hörte ich eine Countryrock-Ballade und ein rhythmisches Rumsen und Zischen.
»Aber es wurden auch andere Leute aus Wind Gap zitiert. Dieser dämliche Father Bluell zum Beispiel. Warum nicht ich? John leidet furchtbar, und ich bin sehr wichtig für ihn, stehe es mit ihm durch. Er weint dauernd. Ohne mich würde er zusammenbrechen.«
»Wenn ich einen Artikel schreibe, für den ich weitere Stimmen aus Wind Gap benötige, werde ich dich interviewen. Falls du etwas Neues beizusteuern hast.«
Rums. Zisch. Sie bügelte.
»Ich weiß eine Menge über diese Familie. Ich weiß Dinge über Natalie, von denen John nichts ahnt. Oder über die er nichts sagen will.«
»Na dann, ich melde mich. Bald.« Ich hängte ein. Ganz wohl war mir bei ihrem Angebot nicht. Als ich nach unten sah, stellte ich fest, dass ich ihren Namen in kindlichen Schleifen quer über mein vernarbtes Bein geschrieben hatte.
Amma lag draußen auf der Veranda auf der Hollywoodschaukel, eingewickelt in eine rosa Seidensteppdecke, einen feuchten Waschlappen auf der Stirn. Meine Mutter hatte neben sich ein silbernes Tablett mit Tee, Toast und verschiedenen Flaschen stehen und drückte Ammas Hand mit kreisenden Bewegungen an ihre Wange.
»Baby, Baby, Baby«, murmelte sie und schaukelte Amma sanft.
Amma ruhte schläfrig wie ein Neugeborenes in der Decke und schmatzte gelegentlich vor sich hin. Es war das erste Mal seit der Fahrt nach Woodberry, dass ich meine Mutter sah. Ich blieb vor ihr stehen, doch sie ließ Amma nicht aus den Augen.
»Hi, Camille«, flüsterte Amma schließlich, ein Mundwinkel kräuselte sich zu einem Lächeln.
»Deine Schwester ist krank. Sie ist sehr unruhig, seitdem du hier bist, und hat sich in ein Fieber hineingesteigert.« Adora drückte noch immer Ammas Hand an die Wange. Ich stellte mir vor, wie ihre Zähne von innen dagegenmahlten.
Dann bemerkte ich Alan, der im Wohnzimmer auf dem Zweiersofa saß und sie durchs Fenster beobachtete.
»Du musst dafür sorgen, dass sie sich in deiner Gegenwart wohler fühlt, Camille, sie ist doch noch ein kleines Mädchen«, gurrte meine Mutter.
Ein kleines Mädchen mit einem Kater. Letzte Nacht war Amma nämlich von meinem Zimmer aus nach unten gegangen, um zu trinken. So lief das in diesem Haus. Ich ließ sie miteinander flüstern und ging, wobei das Wort
Liebling
auf meinem Knie prickelte.
»Hi, rasende Reporterin.« Richard rollte in seiner Limousine neben mir her. Ich wollte gerade zu der Stelle, an der man Natalies Leiche entdeckt hatte, um mir die Ballons und Grüße einmal genauer anzuschauen. Curry hatte einen Artikel zum Thema »Stadt in Trauer« angefordert. Falls es keine neuen Hinweise gab. Womit er mir durch die Blume sagen wollte, bring mir lieber neue Hinweise, und zwar plötzlich.
»Hallo, Richard.«
»Nette Story war das heute.« Scheiß Internet. »Freut mich zu hören, dass Sie informierte Kreise aufgetan haben.« Er sagte es mit einem Lächeln.
»Mich auch.«
»Steigen Sie ein, es gibt Arbeit.« Er stieß die Beifahrertür auf.
»Ich habe zu tun, da ich Ihre Infos entweder nicht brauchen kann oder nicht drucken darf. Mein Chef zieht mich sonst ab.«
»Das können wir doch nicht zulassen«, sagte er. »Kommen Sie, ich brauche jemanden, der mich durch Wind Gap führt. Als Gegenleistung beantworte ich Ihnen drei Fragen. Natürlich inoffiziell, dafür aber offen und ehrlich. Na los, Camille, oder sind Sie mit Ihrem Informanten verabredet?«
»Richard!«
»Nein, ehrlich, ich möchte der jungen Liebe nicht im Weg stehen. Sie und dieser geheimnisvolle Typ geben sicher ein schönes Paar ab.«
»Klappe.« Ich stieg ein. Er beugte sich herüber und schnallte mich an. Seine Lippen verweilten einen Moment lang dicht an meinen.
»Ich muss doch auf Sie aufpassen.« Er deutete auf einen Ballon, der sich vor dem Spalt, in dem man Natalies Leiche entdeckt hatte, in der Luft wiegte. Er trug die Aufschrift »Gute Besserung«.
»Das …«, sagte Richard, »ist typisch für Wind Gap.«
Richard wollte, dass ich ihn an alle geheimen Orte in Wind Gap führte, in die Winkel, die nur Einheimische kannten. Zu den Stellen, an denen sich Leute zum Sex oder Doperauchen trafen, an denen Teenager tranken oder Menschen einfach sitzen und darüber nachdenken konnten, warum ihr Leben in die Brüche ging.
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