Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
ausmachen.«
»Bestimmt nicht.«
Er nahm ihr die Schlüssel aus der Hand, hielt ihr die Beifahrertür auf, und sie stieg ohne weiteren Protest in ihren Camry, dessen Innenraum von der Sonne aufgeheizt war. Cole setzte sich ans Steuer, inspizierte den Inhalt ihres Rucksacks und zog Faith Chastains Akte heraus. »Was ist das?«
Eve erkannte, dass es zwecklos gewesen wäre zu lügen. »Das habe ich gefunden.«
»Erst Hausfriedensbruch und jetzt auch noch Diebstahl?«
»Das musst du gerade sagen«, empörte sie sich, und Cole lächelte flüchtig. Sie wies mit einer Kopfbewegung auf die Akte. »Deswegen bin ich ja hergekommen. Ich glaubte, mich an alte Akten auf dem Dachboden zu erinnern.«
»Sind außer dieser hier noch mehr dort?«
Sie nickte und lehnte sich in ihrem Sitz zurück. Zu dem Pochen in ihrer Schulter kamen nun auch noch Kopfschmerzen.
Cole zögerte. Trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad.
»Was ist?«
»Ich würde mir diese Akten gern ansehen.«
»Sie sind uralt, wenigstens zwanzig Jahre.«
»Aber vielleicht enthalten sie trotzdem einen Hinweis auf das, was jetzt gerade im Gange ist«, gab er zu bedenken.
»Wie kommst du darauf?«
Er tippte mit dem Finger auf Faith Chastains Akte. »Ihretwegen. Sie war vor über zwanzig Jahren hier. Sie hat ein Kind geboren, von dem niemand etwas weiß. Jemand schickt dir Zeitungsartikel über ihren Tod. Meinst du nicht, es könnte jemand sein, über den im Krankenhaus eine Akte angelegt wurde?«
»Aber warum sollte er zwanzig Jahre warten, ehe er den Stein ins Rollen bringt?«
»Ich weiß es nicht«, gestand Cole und ließ den Motor an. »Aber vielleicht könnten wir es herausfinden, indem wir uns diese Akten ansehen.«
»Nehmen wir uns erst einmal die vor, die wir schon haben«, schlug Eve vor. Sie versuchte zu lächeln und spürte, wie ihre Lippen zitterten.
Er bedachte sie mit einem Blick, der streng und zärtlich zugleich war. »Du brauchst einen Arzt.«
»Nein, wirklich, mir geht es gut.«
Er berührte sie knapp unterhalb des Ellbogens, und sie sog scharf die Luft ein. »Gut geht es dir erst, wenn du in der Notfallambulanz warst, geröntgt worden bist und Schmerzmittel bekommen hast.«
»Ich gehe nicht ins Krankenhaus, Cole.«
Er grinste sie an. »Ich sag’s nur ungern, Schatz, aber im Augenblick gehst du genau dahin, wohin ich dich fahre.«
»Arschloch«, murrte sie.
»Meinst du mich?«
In dieser Nacht war die Stimme zornig.
Sie erhob sich über das nervtötende Gewinsel der anderen Stimmen, die schmeichelnd und fordernd zugleich in sein Bewusstsein drangen.
»Bald wirst du noch jemanden opfern müssen«, sagte Gott, und er zitterte in seinem Bett, schwitzte, dachte an Eve. War sie an der Reihe? Gehörte sie zu denen, die Gott auserwählt hatte? Er schloss die Augen und stellte sich ihr Gesicht vor. So perfekt.
Jetzt, als Frau, war sie wunderschön.
Damals, als Kind, hatte sie sich ihm entzogen.
Sie war die Frau, die er wollte.
Gott wusste, wie sehr er sie begehrte. War sein wollüstiges Verlangen nach ihr nicht gerade der Grund dafür, dass die Stimme ihn erwählt hatte?
»Wen, o Herr?«, flüsterte er eifrig und krallte die Finger in die Bettdecke. »Wer soll sein Leben lassen? Sag es mir, und ich erfülle deinen Willen.«
Er schloss die Augen und konzentrierte sich. Bereits so kurz nach den letzten Morden musste er erneut zum Messer greifen, um diejenigen umzubringen, die den Allmächtigen offenbar erzürnt hatten. Das war seine Mission, seine Aufgabe, denn hatte die Stimme ihm nicht versprochen, wenn er tat, wie ihm geheißen, würde er selbst vergöttlicht werden?
Vergöttlicht!
Er würde an der Seite des himmlischen Vaters sitzen … Bei dieser Vorstellung traten ihm Tränen in die Augen. Er brauchte nur zu tun, was die Stimme befahl, musste nur den göttlichen Anweisungen folgen, um sich von seinen eigenen Sünden reinzuwaschen …
Bitte, bitte, dieses Mal soll Eve an der Reihe sein.
»Manche Menschen sündigen«, sagte die Stimme scharf. »Unter dem Deckmäntelchen der Unschuld leben sie auf Erden, erheben sich über andere, täuschen Rechtschaffenheit, Gläubigkeit vor. Die sind die übelsten Sünder, die sich hinter ihrer Heiligkeit verstecken, und sie müssen geopfert werden, damit alle Welt ihre Täuschung durchschaut. Opfere diese zuerst und bringe die zweite …«
»Bringe die zweite? Wohin soll ich sie bringen?«
Die Antwort war Schweigen.
»Herr?«, rief er und fragte sich flüchtig, ob er tatsächlich
Weitere Kostenlose Bücher