Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
noch feucht, ein kleines Kreuz zur Kennzeichnung zwischen den anderen größeren, gravierten Grabsteinen. Zwischen dem umgebenden Gras und Unkraut war die Stelle nicht zu übersehen.
»Das verstehe ich nicht«, sagte Schwester Odine und rang die Hände, als sie mit Bentz und Montoya an das Grab kam, wo schon die Geräte zum Ausheben bereitstanden. In der Führerkabine des Baggers saß ein Arbeiter, zwei weitere standen dabei. Die große Maschine dröhnte im Leerlauf und stank nach Diesel. »Wir hatten seit sechs Monaten kein Begräbnis mehr.« Sie sah verwirrt zu Bentz auf und schüttelte den Kopf. »Erst vor drei Tagen bin ich zuletzt hier vorbeigegangen, und da war das« – Sie deutete auf den frischen Erdhügel – »noch nicht da. Hier war ein Grab, ja. Das Kreuz steht hier schon, solange ich im Kloster bin, glaube ich. Aber ich kann beschwören, dass keine frischen Grabespuren da waren.«
»Ich glaube Ihnen«, sagte Bentz und nickte dem Exhumierungsteam zu. Er reichte Schwester Odine die erforderlichen Papiere, auch wenn die juristischen Formalitäten die Nonne nicht im Geringsten zu interessieren schienen. Der Detective wies sie darauf hin, dass die Erzdiözese womöglich umso größeres Interesse daran haben würde. Dann gab er dem Baggerführer einen Wink, und die Maschine setzte sich knirschend in Bewegung, riss den weichen Boden auf und hob das Grab binnen kürzester Zeit aus.
»Mir gefällt das nicht.« Montoya tastete in seiner Tasche nach den Zigaretten, dann warf er einen Blick auf Schwester Odine und überlegte es sich anders. »Gräber zu öffnen … na ja, das ist unheimlich. Ich mag die Totenruhe nicht stören. Ich finde, wenn sie begraben sind, soll man sie in Frieden lassen.«
»Es gehört zu unserem Job.«
»Ha.« Er verschränkte die Arme vor der Brust, und seine Lederjacke knarrte. Unbehaglich trat er von einem Fuß auf den anderen und blickte zu einem Flugzeug am Himmel auf, das einen weißen Kondensstreifen nach sich zog und dann in den Wolken verschwand.
Der Bagger arbeitete lärmend, hob die dunkle, duftende Erde aus und warf Schaufel um Schaufel auf den wachsenden Hügel.
Es dauerte nicht lange, bis der Sarg sichtbar wurde.
»Hey! Anhalten!«, rief einer der Arbeiter und gab dem Baggerführer ein Handzeichen. »Detective?«
Bentz, auf das Schlimmste gefasst, trat an das Grab und sah in etwa einem halben Meter Tiefe einen kleinen Sarg, teilweise noch mit Erde bedeckt. Der Anblick machte ihn traurig. Anders als seinem Partner war ihm dieser Aspekt seines Berufs nicht unheimlich, doch es widerstrebte ihm ebenso wie Montoya, die Totenruhe zu stören.
»Herrgott«, stieß Montoya hervor, trat näher an die Grube und warf einen Blick auf den kleinen Sarg. »Gott im Himmel.«
»Ich nehme an, das war ein Gebet«, sagte die Nonne.
»Unbedingt!«, beteuerte Montoya mit Nachdruck.
Bentz glaubte seinem Partner sogar. Er nickte den Arbeitern zu. »Holt ihn rauf.« Dann trat er zurück, während die Männer die Kiste, die kaum größer war als der Leichnam eines Säuglings, aus der Grube beförderten.
Montoya beobachtete mit zusammengepressten Lippen und düster funkelnden Augen, wie der Sarg herausgehoben und auf dem Boden abgestellt wurde. Bentz nickte den Arbeitern zu, woraufhin sie sich daranmachten, die Kiste aufzustemmen.
Der Detective zwang sich, hineinzusehen. In der schlichten, mit Leinen ausgeschlagenen Kiste lag eine Leiche.
Eine frische Leiche.
Das Leinen war noch blutbefleckt.
Doch es war nicht die Leiche eines Kindes. Es war ein Ferkel mit durchgeschnittener Kehle.
»Um Gottes willen!«, rief Montoya angewidert aus, Gänsehaut auf dem Rücken. »Was zum Teufel ist das denn?« An die Nonne gewandt, sagte er hastig: »Entschuldigen Sie, Schwester.« Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Sarg. »Mann, was ist das? Ein
Schwein?
Ein frisch geschlachtetes Schwein, verdammt noch mal?«
Er wich zurück. Ohne Rücksicht auf gute Sitten oder Achtung vor den Toten kramte er nun doch seine MarlboroSchachtel hervor und steckte sich hastig eine Zigarette an. »Gott im Himmel«, murmelte er vor sich hin. Sogar die Arbeiter, die sich bisher leise unterhalten hatten, waren verstummt.
Die kleine Nonne blickte stirnrunzelnd in den offenen Sarg und bekreuzigte sich rasch. Auch sie war sichtlich erschüttert, bleich im Gesicht, die Augen hinter den Brillengläsern waren weit aufgerissen. »Warum tut ein Mensch so etwas?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Bentz, »aber wir
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