Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
hätte Bentz nachgegeben, doch dann schüttelte er den Kopf. Es war allgemein bekannt, dass er schwach wurde und rauchte, wenn ein Fall ihm zu viel abverlangte, und vielleicht würde es später noch so weit kommen, doch vorerst blieb er bei seinem Antiraucher-Kaugummi. Montoya schob die Marlboro-Schachtel wieder in seine Innentasche. Schließlich brach er das Schweigen: »Diese Schwester behauptet, Faith hätte einen Jungen bekommen, eine Totgeburt, die irgendwo auf dem Friedhof des Klosters begraben liegt.«
»Mhm.«
»Glaubst du ihr?«
»Ich denke, dass
sie
es glaubt«, sagte Bentz und überholte einen Pick-up mit Pferdeanhänger. »Ich habe im Kloster angerufen und mit Schwester Odine gesprochen, sie war mir allerdings keine Hilfe. Als sie erfuhr, dass wir ein Grab ausheben wollen, war sie nicht begeistert, aber ich habe ihr erklärt, dass es sich nicht vermeiden lässt, wenn wir Schwester Rebeccas Mörder jemals stellen wollen.«
»Eve sieht Faith ungemein ähnlich. Nachdem Abby sie persönlich kennengelernt hat, ist sie überzeugt, sie müsse ihre Schwester sein.« Montoya schüttelte den Kopf. »Zum Kuckuck, sie wollte sogar schon Eves Namen in die Familienbibel eintragen.«
»Die Ergebnisse der DNA -Analyse müssten bald vorliegen. Ich habe darum gebeten, dass die Proben schnellstmöglich untersucht werden. Dann haben wir wenigstens über den Teil der Geschichte Gewissheit.«
Montoya zog an seiner Zigarette. »Und was, wenn Eve Renner doch nicht Faith Chastains Tochter ist? Warum wurden ihr dann diese Zeitungsartikel über Faith und die Klinik zugespielt?«
»Abgesehen davon, dass Eve praktisch in dieser Anstalt aufgewachsen ist? Keine Ahnung«, gab Bentz zu und wechselte auf die Abfahrspur.
»Da drängt sich einem doch die Frage auf«, sagte Montoya, blies den Rauch aus und zerdrückte die Zigarette im Aschenbecher. »Was zum Teufel hat es mit dieser Eve Renner auf sich?«
Als Kristi das Bürogebäude von Gulf Auto and Life verließ, fühlte sie sich so frei wie seit ihrer College-Zeit nicht mehr. Sie hatte von Anfang an gewusst, dass sie nicht für diese Tätigkeit geschaffen war – einen Schreibtischjob, acht Stunden am Tag, vierzig Stunden die Woche –, doch schließlich musste sie essen und ihre Miete bezahlen. Nie im Leben würde sie wieder zu Hause einziehen, wo ihr überbehütender Dad sie auf Schritt und Tritt überwachte. Ausgeschlossen. Erst recht nicht jetzt, da sie den Verdacht hegte, dass ihre Stiefmutter es darauf anlegte, schwanger zu werden. Als Kristi das letzte Mal zu Hause war, hatte sie im Abfalleimer im Bad die leere Schachtel eines Schwangerschaftstests entdeckt. Allein die Vorstellung, sie bekäme einen Halbbruder oder eine Halbschwester, der oder die mehr als fünfundzwanzig Jahre jünger wäre als sie selbst … Unmöglich.
Außerdem wäre das Kind eigentlich nicht einmal dein Halbbruder oder deine Halbschwester. Nicht biologisch gesehen.
Sie mochte nicht darüber nachdenken. Wie auch immer, sie war erwachsen, hatte sich nach dem Studium auf eigene Beine gestellt und dazu jeden Job angenommen, den sie finden konnte: als Kellnerin, als Bürokraft, was immer ein einigermaßen sicheres Einkommen versprach. Zuletzt war sie eben, wie das Schicksal es wollte, bei einer Versicherung gelandet.
Aber damit war sie jetzt Gott sei Dank fertig. Nie wieder musste sie sich das Gejammer irgendeines Kunden über seine Selbstbeteiligung anhören!
Als Kristi ihrer Chefin an diesem Morgen eröffnete, dass sie kündigen wollte, war sie überrascht von der Reaktion. »Nun, dir stehen noch fast zwei Wochen Urlaub zu – warum räumst du nicht gleich deinen Schreibtisch auf?«, hatte ihre Chefin mit einem falschen Lächeln vorgeschlagen. Kristi vermutete, dass Gulf Auto and Life vielleicht ebenso froh über ihre Kündigung war wie sie selbst.
Desto besser.
Sie atmete tief durch. Plötzlich sah sie diesen Teil der Stadt, die Innenstadt, mit völlig anderen Augen. Sie konnte durchs Aquarium schlendern. Es lag direkt am Wasser und sollte phantastisch sein, doch sie hatte noch nie einen Fuß hineingesetzt. Sie konnte ins Spielkasino gehen und sich einen Gratis-Drink genehmigen, wenn sie wollte, obwohl es erst zehn Uhr morgens war. Vielleicht einen Mimosa oder Bloody Mary. Ihr Vater, der Antialkoholiker, würde einen Anfall bekommen, wenn er das wüsste. Sie lächelte vor sich hin. Nicht dass sie keine Achtung vor ihrem alten Herrn gehabt hätte, im Gegenteil. Er hatte für sie getan, was
Weitere Kostenlose Bücher