Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
Machenschaften dieses Verrückten hineingezogen.
Sie hatte sein Gesicht nicht gesehen. Er hatte eine Art Skimaske getragen, aber jedenfalls war er groß und stark. Er hatte sie in ihrem Schlafzimmer überfallen, sie geknebelt, gefesselt und zu seinem Wagen geschleppt, in dem sie jetzt schon seit Stunden fuhren. Jeder Knochen im Leib tat ihr weh, ihre Blase drohte zu platzen.
Anscheinend ahnte er, dass sie dringend musste, denn irgendwann bog er in den Wald ab, zerrte ihr die Hose herunter und sah zu, während sie sich erleichterte. Es war ihr so unangenehm, dass sie beinahe nicht pinkeln konnte, doch schließlich siegte die Natur.
Anschließend zwang er sie wieder auf die Ladefläche des Pick-ups, auf die schmutzige Matratze, wo sie mit auf dem Rücken gefesselten Händen lag. Doch als er sie in den Wagen stieß, konnte sie unter der Augenbinde hervor einen Blick auf das Nummernschild erhaschen. Sie prägte sich das Kennzeichen gut ein für den Fall, dass ihr die Flucht gelingen sollte. Dann fuhr er weiter, und sie lauschte angestrengt, hörte das Singen der Reifen auf dem Pflaster, das Summen des Motors und seine dröhnende Stimme. Doch die Worte verstand sie nicht, war nicht einmal sicher, ob er sang oder betete.
Anna Maria spürte, dass er beim Auffahren auf den Freeway beschleunigte. Angestrengt überlegte sie, wie sie die Fahrer anderer Fahrzeuge auf sich aufmerksam machen, ihnen signalisieren könnte, dass sie entführt wurde.
Doch sie war gefesselt, konnte sich nicht rühren, niemandem Zeichen geben.
Tief im Inneren wusste sie, dass der Psychopath, der sie entführte, derselbe war, der ihren Schwiegervater, Roy Kajak und die Nonnen auf dem Gewissen hatte. Lieber Gott, was sollte sie tun?
Die nächsten schier endlosen Stunden brachte sie mit Weinen und Beten zu. Endlich wurde der Pick-up langsamer, und auch die Verkehrsgeräusche hatten sich verändert. Er musste sie in eine große Stadt verschleppt haben, höchstwahrscheinlich nach New Orleans. Der Wagen hielt mehrmals an Ampeln und fuhr wieder an. Dann schließlich blieb er stehen. Ihr Herz schlug einen Trommelwirbel.
War dies das Ende?
Wollte er sie hier umbringen?
Lieber Gott, nein!
Ihr Mund war staubtrocken, ihre Angst mit Händen zu greifen, als sie hörte, wie er zu ihr auf die Ladefläche stieg. Es war so dunkel. So verdammt dunkel. Er fasste sie an, und sie zuckte zurück. Dann spürte sie etwas Kaltes, Stahlhartes unter dem Kinn – den Lauf einer Waffe. Er gab ihr Anweisungen, was sie tun sollte, und schwor, sie zu töten, wenn sie ihm nicht aufs Wort folgte. Die Angst hatte Anna so fest im Griff, dass sie nicht anders konnte – sie rief Eve an.
Und so lockte sie ihre beste Freundin in die Falle des Psychopathen.
Sie rechnete damit, dass er sie auf der Stelle töten würde, sobald Eve dem Treffen zugestimmt hatte, doch stattdessen senkte er die Waffe und sagte: »Braves Mädchen«, in einem so besänftigenden Tonfall, dass sie hätte schreien mögen.
Dann sprang er behende von der Ladefläche und schloss das Verdeck. Anna zerrte an ihren Fesseln, versuchte Klopfzeichen zu geben, um jemanden auf sich aufmerksam zu machen, doch die Matratze dämpfte die Geräusche, und der Knebel hinderte sie am Schreien.
Lieber Gott, vergib mir,
betete sie und kämpfte gegen die Tränen und die lähmende Angst. Verzweifelt versuchte sie sich zu konzentrieren. Es musste eine Möglichkeit geben.
Sie musste Eve retten.
Sich selbst retten.
O Gott, bitte, hilf mir! Bitte!
Also hatte er nicht gelogen.
Kristi stand auf dem Friedhof und blickte in das geöffnete Grab hinunter, von dem ihre Quelle ihr erzählt hatte. Sie kramte ihre Digitalkamera aus dem Rucksack. Der Tag war trüb und bedeckt, versprach Regen, aber noch war es hell genug, um ein paar Fotos für ihr Buch zu machen. Sie plante, Bilder vom Tatort in den Text einzubinden.
Bei dieser Gelegenheit kam sie auf den Gedanken, auch ein paar Aufnahmen von der Klinik zu machen. Ehe das Gebäude abgerissen wurde. Zwar war die Anstalt bereits tausendmal fotografiert worden, doch Kristi wünschte sich Bilder von Faith Chastains Zimmer und von dem Dachboden, auf dem Schwester Vivian Harmons Leiche gefunden worden war. Außerdem natürlich von Eve Renners Haus und, falls sie eine Gelegenheit fand, vom Kreuzgang des Klosters Our Lady of Virtues. Das konnte allerdings schwierig werden, denn schließlich war das Kloster in Betrieb. Und Kristi bezweifelte, dass man sie ohne plausiblen Grund einfach so
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