Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
genau so, wie sie es in Erinnerung hatte. Nichts hatte sich verändert, doch als sie die Tür zu ihrem frisch gereinigten Turmzimmer öffnete, verzog sie unwillkürlich das Gesicht. Sie hatte neues Bettzeug gekauft und auch einen Matratzenüberzug. Trotzdem sah sie im Geiste noch immer die Blutflecke vor sich, ihre Puppe bäuchlings auf der Bettdecke und Schwester Vivians Leiche auf dem Dachboden des alten Klinikgebäudes.
Es klingelte, und sie zuckte heftig zusammen.
»Ich sehe nach«, bot Cole an, und bevor Eve protestieren konnte, war er bereits die Treppe hinunter. Sie folgte ihm eilig. Im Erdgeschoss angekommen, sah sie Detective Bentz auf der Schwelle stehen, wie üblich mit finsterer Miene. Cole hielt die Tür mit einer Hand, als wollte er sie zuschlagen, sobald der Polizist ihm den Rücken kehrte.
Eve fing Bentz’ Blick auf und erkannte sofort, dass er keine guten Neuigkeiten brachte. Der Detective fiel auch gleich mit der Tür ins Haus: »Ich war bei Father Paul, dem Geistlichen, der in der Nacht Ihrer Geburt im Our Lady of Virtues anwesend war. Er hat bestätigt, was ich schon vermutete: Ihr leiblicher Vater ist ein Geistlicher namens James McClaren. Dieser McClaren ist außerdem auch mein Halbbruder, das heißt, Sie sind praktisch meine Nichte.«
Eve stand da wie vom Donner gerührt. »Ihre Nichte?« Er nickte, und ihm war anzusehen, dass es ihn Überwindung kostete, weiterzusprechen. »Da wäre noch etwas.«
Bentz seufzte. »Die ganze Geschichte ist ziemlich kompliziert, aber um es kurz zu machen: James McClaren ist auch der leibliche Vater meiner Tochter Kristi.«
»Wie bitte?«
»Meine erste Frau hatte eine Affäre mit meinem Halbbruder, der zufällig auch noch Priester war.«
»Warum zum Teufel wird so ein Kerl Priester?«, fragte Cole sichtlich erschüttert.
»Gute Frage. Aber zu spät. Er ist tot.«
Eve hörte das Blut in ihren Ohren rauschen. »Also bin ich … väterlicherseits mit Ihnen und Kristi verwandt und mütterlicherseits mit Abby und Zoey Chastain?« Sie konnte es nicht fassen. Sie, die Adoptivtochter, die bisher nichts von ihren leiblichen Verwandten wusste, hatte nun mit einem Schlag drei Schwestern und einen Onkel.
»Soll das ein Witz sein?«, fragte Cole, als argwöhnte er einen Hinterhalt. »Wie unwahrscheinlich ist das denn – Eve soll sowohl mit Ihnen als auch mit Montoya verwandt sein?«
»Mit Montoya eigentlich nicht. Höchstens indirekt, wenn er und Abby heiraten.«
Sie standen immer noch im Eingangsbereich. Die Tür war offen, und das Unwetter drang bis unter das Vordach der Veranda.
»Schließ bitte die Tür«, sagte Eve an Cole gewandt.
»Und was hat das alles nun mit den Ermittlungen zu tun?«, wollte Cole wissen. »Es ist eine interessante Geschichte – aber was weiter?«
»Wir vermuten, dass Eve einen Zwilling hat.«
»Einen Zwilling?« Eve blieb vor Verblüffung der Mund offen stehen.
»Es ist ein Junge, beziehungsweise inzwischen natürlich ein Mann. Sein Name ist wahrscheinlich Adam, und man hielt ihn anfangs für eine Totgeburt. Es war sein Grab, das wir auf dem Gelände von Our Lady of Virtues geöffnet haben, aber es war nur vorgetäuscht.«
»Moment, das geht mir alles zu schnell«, sagte Eve. Ihr war geradezu schwindlig.
Bentz erwiderte entschuldigend: »Ich weiß, es ist ziemlich viel auf einmal. Nun, jedenfalls vermuten wir, dass dieser Adam mit der Mordserie zu tun hat – auch wenn wir noch nicht wissen, in welcher Weise. Ich dachte, das sollten Sie wissen.«
»Ja … ganz richtig. Kommen Sie, Detective«, bat Eve und führte ihren Besucher in den Salon, der selten benutzt wurde. Sie bot Bentz einen der Queen-Anne-Sessel ihrer Großmutter an und nahm selbst auf dem Ecksofa Platz. »Bitte, fahren Sie fort.«
Bentz berichtete, was er und sein Kollege herausgefunden hatten; Eve hörte zu, und Cole stand im Türrahmen, die Arme vor der Brust verschränkt, und musterte Bentz, als vermutete er hinter den Worten des Detectives eine Art Falle.
Eve lauschte schweigend. Es war wirklich eine haarsträubende Geschichte – und ihr Vater stand im Mittelpunkt. War das möglich? Hatten ihr Vater und die Belegschaft von Our Lady of Virtues tatsächlich achtundzwanzig Jahre lang die Geburt zweier Kinder verheimlicht? Sie sah zu Cole hinüber, der finster auf den Boden starrte.
»Also«, schloss Bentz seinen Bericht, »jetzt suchen wir Ihren Bruder. Uns interessiert, was er zu all dem zu sagen hat.«
»Und Sie bringen ihn mit den Morden in
Weitere Kostenlose Bücher