Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
hastig übergeworfene Jacke fester um sich.
»Ich bin Eve Renner«, sagte sie zu dem Deputy. »Ich muss meinen Vater sehen.«
»Tut mir leid, Ma’am, das ist nicht gestattet. Dies hier ist ein Tatort.«
»Aber ich bin seine Tochter«, begehrte sie auf, als hätte der Mann sie nicht richtig verstanden.
»Treten Sie bitte zur Seite. Ich rufe einen der Detectives, damit er mit Ihnen spricht.«
»Die Polizei war schon bei mir und hat mich informiert. Deshalb bin ich hier«, drängte Eve beharrlich weiter.
»Entschuldigen Sie bitte.« Der Polizist sprach in das Knopfmikrofon, das an seiner Uniformjacke befestigt war. Eve, von einem plötzlichen Schwächeanfall überwältigt, lehnte sich an einen Streifenwagen und versuchte sich zusammenzureißen, doch immerzu schossen ihr Bilder von ihrem Vater durch den Kopf.
Dad! Ach, Dad! Es tut mir so leid … so leid.
Wieder kamen ihr die Tränen, als sie sich an Terrence Renner als jungen Mann erinnerte, damals vor zwanzig Jahren, als sie noch nicht einmal in den Kindergarten ging. Sie erinnerte sich, wie er sie hoch in die Luft geworfen und wieder aufgefangen hatte, dass sie vor Vergnügen kreischte. »Noch mal, Daddy«, hatte sie gerufen, obwohl ihre Mutter empört protestierte. »Noch mal, noch mal!«
Ein weiteres flüchtiges Bild: ihr Vater als Arzt, die Schöße seines blendend weißen Kittels wehten im Wind, während er eiligen Schrittes die gepflegten Rasenflächen und Gärten auf dem Gelände des Our Lady of Virtues durchquerte. Stets sein professionelles Lächeln auf den Lippen, obwohl er nur selten einen Seitenblick auf die Patienten warf, die im Schatten saßen, Gehwagen schoben oder sich zu »Freiluft-Gruppenspielen« zusammenfanden. Damals war er selbstbewusst gewesen, ein brillanter, gebildeter Mann inmitten der psychisch gestörten Patienten, denen er helfen wollte.
Sie schloss die Augen, ließ sich den Nachtwind ins Gesicht wehen. Noch eine Erinnerung tauchte plötzlich auf: Sie war schon älter, vielleicht knapp dreizehn, und ihr Vater hatte aus seiner täglichen Heimkehr ins Haus am Rande des Klinikgeländes ein Ritual gemacht. Eves Mutter, mit leuchtend rotem Lippenstift, immer in Jeans und bunten T-Shirts, empfing ihn stets mit einem Drink. Abend für Abend stellte Terrence seine Aktentasche an der Garderobe ab, legte seine Schlüssel in eine Schale auf dem Tischchen daneben und hauchte seiner Frau einen Kuss auf die Wange. Dabei war er jedoch geistesabwesend, hatte Sorgenfalten auf der hohen Stirn, und sein Blick wanderte zum Wohnzimmer, wo ihn der Fernseher mit den Abendnachrichten erwartete.
Und dann folgte die schmerzlichste Erinnerung: Eve und ihr Vater, wie sie an einem heißen Augustnachmittag, an dem nicht der leiseste Lufthauch wehte, auf dem Friedhof standen. Ihre Brüder, die sich in Anzug und Krawatte sichtlich unbehaglich fühlten, standen mit geröteten Augen ein paar Schritte entfernt, als gehörten sie nicht richtig zur Familie. Auch Nana war dabei, ganz in Schwarz. Und Terrence stand bleich, jedoch unerschütterlich in der sengenden Sonne und sah ohne Tränen zu, wie seine Frau zur letzten Ruhe gebettet wurde. Eve, noch immer an den Streifenwagen gelehnt, musste bei dieser Erinnerung um Fassung ringen.
»Ich möchte meinen Vater sehen«, wandte sie sich erneut an den dürren Polizisten mit dem großen Hut.
»Tut mir leid, Ma’am. Ich darf Sie nicht durchlassen. Das ist ein Tatort.«
»Sie sagten es bereits. Mir ist bewusst, dass hier ein Verbrechen verübt wurde.« Ihr Kopf dröhnte wieder, pochte erbarmungslos. »Können Sie mir bitte sagen, was genau meinem Vater zugestoßen ist?« Als ihr klar wurde, dass der Deputy sich nicht erweichen ließ, fügte sie hinzu: »Oder … oder kann ich mit dem Leiter der Ermittlungen sprechen?«
»Detective Brounier ist schon unterwegs.«
»Brounier?« Als Eve sich zum Haus umdrehte, sah sie nicht einen, sondern drei Männer die Zufahrt herunterkommen, schwarze Gestalten vor dem Hintergrund des hell erleuchteten Hauses. Den großen, bulligen Mann kannte sie nicht, wohl aber die beiden anderen.
Na großartig, dachte sie niedergeschlagen.
Die Detectives Bentz und Montoya.
Das verhieß nichts Gutes.
Sobald die drei das Absperrband erreicht hatten, wandte sich Eve an den Schwarzen: »Ich bin Eve Renner, Dr. Renners Tochter. Ich möchte ihn sehen.«
»Detective Louis Brounier«, stellte er sich vor und reichte ihr ohne die Spur eines Lächelns seine große Hand, wobei er sie jedoch aus
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