Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
angerufen.«
»Ich habe Eve nicht angerufen.« Das entsprach immerhin der Wahrheit. Cole war unsicher, wie viel er seinem Anwalt anvertrauen konnte, und was Eve betraf – ach, zum Kuckuck, er wusste selbst nicht, was er davon halten sollte. Eigentlich hatte er die Begegnung in der vergangenen Nacht tatsächlich nicht geplant. Aber hätte er sich von ihrem Haus ferngehalten, wenn er gewusst hätte, dass sie wieder in der Stadt war? Nein, Cole musste sich eingestehen, dass er dann womöglich erst recht zu ihr gefahren wäre. »Ich muss jetzt Schluss machen«, sagte er zu Deeds. »Ich rufe dich später noch mal an, und dann können wir uns treffen.«
»Ich bin bis sechs Uhr abends ausgebucht. Danach bin ich zum Squash-Spielen verabredet, aber das kann ich absagen. Also komm um sechs her.«
»Nein, wir sollten uns woanders treffen.«
Einen Moment lang blieb es still in der Leitung.
»Okay. Bei dir?«
»Wie wäre es mit dem O’Callahan’s an der Magazine Street, einen oder zwei Blocks von der Julia Street entfernt?«
Deeds antwortete: »Ich kann gegen halb sieben dort sein. Mach inzwischen keine Dummheiten, und das meine ich völlig ernst.«
»Gut. Ach ja, Sam? Versuch nicht, mich anzurufen. Ich musste das Handy vernichten.«
»Verdammt, Cole, was ist denn in dich gefahren?«
»Ich will nicht beschattet werden. Falls du doch nicht zum Callahan’s kommen kannst, melde ich mich wieder.«
»Herrgott noch mal, was um alles in der Welt hast du diesmal wieder angestellt?«
O Mann, wenn du das wüsstest.
»Ich erkläre dir alles, wenn wir uns sehen«, log Cole, legte auf und verließ die Telefonzelle.
Mach keine Dummheiten.
Was Deeds damit sagen wollte, war: Triff dich nicht mit Eve. Der Anwalt wusste noch nicht, dass Eve in der Stadt war und Cole sie bereits getroffen hatte.
Cole trank noch einen Schluck von seinem Kaffee und ging weiter die kleine Steigung vom Ufer zur Innenstadt hinauf. Er brauchte Zeit, um nachzudenken.
Doch immer wieder ertappte er sich dabei, dass seine Gedanken um Eve kreisten. In ihrem flauschigen Bademantel, die gefühlvollen Augen glänzend von Tränen, die Lippen zornig zusammengepresst, in den Händen einen Revolver, mit dem sie auf seine Brust zielte … Sie hatte so unglaublich begehrenswert ausgesehen. Eigentlich hätte er Angst haben oder wütend werden müssen, aber diese Frau hatte etwas an sich, das ihm unter die Haut ging. Obwohl sie offenbar mit einem anderen Mann zusammen gewesen war, ihn betrogen hatte und ihrem nachgewiesenen Gedächtnisverlust zum Trotz bereitwillig gegen ihn ausgesagt hätte, war sie für ihn immer noch die reizvollste Frau, die ihm je begegnet war.
Mit seiner Vernunft war es wohl nicht weit her.
Er ging in Richtung Riverwalk Marketplace, näherte sich dem träge dahinströmenden Mississippi. Eine Barke fuhr stromaufwärts vorbei, und ein leichter Wind blies übers Wasser und wehte den modrigen Geruch des Flusses zu ihm herüber.
Wer hatte Terrence Renner umgebracht?
Derselbe Psychopath, der auch Roy Kajak die Kehle durchgeschnitten hatte? Ja, ganz bestimmt.
Und was hatten die Zahlen zu bedeuten? 212 , 101 – deuteten sie auf die Identität des Täters hin, oder welches kranke Spiel spielte dieser mordende Verrückte da?
Warum hatte der Mörder ausgerechnet am Tag von seiner, Coles, Entlassung seine nächste Tat begangen?
Vielleicht hat es gar nichts mit dir zu tun. Vielleicht hat er wieder angefangen zu morden, weil Eve nach New Orleans zurückgekehrt ist. Oder noch aus einem gänzlich anderen Grund.
Es konnte purer Zufall sein.
Von wegen. Als ob er auch nur einen Augenblick daran geglaubt hätte.
Cole sah einem Teenager zu, der einem Schäferhundmischling eine Frisbeescheibe zuwarf, trank seinen Kaffee aus, zerdrückte den Pappbecher und warf ihn in einen Abfallkorb. Er durfte seine Zeit nicht länger mit unsinnigen Grübeleien vergeuden, sondern musste handeln. Entschlossen machte er sich auf den Weg zu seinem Jeep.
In den frühen Morgenstunden, nachdem er Eve verlassen hatte, war Cole nach Hause gegangen, hatte sich umgezogen und war dann quer durch die Stadt zu einem Waschsalon gefahren, wo er seine blutbefleckten Jeans und das T-Shirt gewaschen und gebleicht, getrocknet und anschließend in einen Altkleidercontainer der Heilsarmee gesteckt hatte. Um sechs Uhr war er wieder zu Hause angekommen, hatte drei Stunden lang geschlafen, kurz geduscht und war dann losgezogen, um sich einen Kaffee zu besorgen und den Anruf zu tätigen.
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