Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
Feinde?«, fragte Bentz.
»Das weiß ich wirklich nicht.«
»Vielleicht Kollegen oder Untergebene im Our Lady of Virtues – das ist die letzte Klinik, in der er beschäftigt war. Danach, in seiner Privatpraxis, hat er allein gearbeitet, nicht wahr? Er stand nur in Verbindung mit einer kleinen Privatklinik« – Bentz blätterte ein paar Seiten in seinem Notizbuch zurück –, »St. Andrews, in der Nähe von Slidell.«
»Stimmt«, sagte Eve und erinnerte sich an das kleine Krankenhaus am anderen Ufer des Lake Pontchartrain.
»Wissen Sie, ob irgendwer in diesen beiden Kliniken etwas gegen Ihren Vater hatte?«
»Nein. Da müssten Sie jemanden fragen, der dort gearbeitet hat.« Eve spürte schon wieder aufkommende Kopfschmerzen. »Es gibt ja sicher Personalakten.«
Die Detectives stellten noch ein paar Fragen und beendeten dann die Vernehmung. Montoya begleitete Eve noch zum Ausgang. Als sie ins Freie trat, hatte sie das Gefühl, endlich wieder atmen zu können.
Am Himmel hatten sich Wolken zusammengeballt, die Schatten in der Stadt waren länger geworden. Die Luft war stickig. Schwül. Eve klebten die Kleider am Leib.
Während sie zu ihrem Camry ging, warf sie einen Blick über die Schulter. Wieder einmal hatte sie das unheimliche Gefühl, beobachtet zu werden. Unbehagen kroch in ihr hoch, ein Prickeln überlief ihre Kopfhaut. Sie drehte sich langsam um sich selbst und betrachtete die Gehsteige und Straßen in ihrer Umgebung.
Eine Frau schob einen Kinderwagen. Zwei Teenager gingen Händchen haltend, iPod-Stöpsel in den Ohren, spazieren und unterhielten sich dabei fast schreiend. Ein älterer Herr führte einen kleinen Hund, eine Art Terrier, Gassi, und an einer Bushaltestelle warteten mehrere Leute. Ein Mann in einer silbernen Limousine studierte stirnrunzelnd eine Straßenkarte, als hätte er sich gründlich verfahren. Ein paar etwa Zwanzigjährige mit Igelfrisuren rasten rücksichtslos auf ihren Skateboards durch die Menge, und ein Bettler, der sich als obdachloser Kriegsveteran ausgab, spielte auf der Gitarre eine Melodie aus den Achtzigern und wartete darauf, dass jemand Geld in seinen offenen Gitarrenkasten warf. Ein Straßenprediger verteilte Traktate und redete allen, die es hören wollten oder auch nicht, mit Inbrunst zu, sie sollten Jesus als ihren Erlöser annehmen.
Eve entdeckte niemanden, der sich im Schatten einer Markise versteckte, niemanden, der in einem großen, dunklen Pick-up mit getönten Scheiben saß und rauchte, niemanden, der sie auch nur im Geringsten beachtete.
Du bildest dir alles nur ein,
schalt sie sich selbst, aber sie wurde trotz allem das Gefühl nicht los, dass jemand ganz in der Nähe jede ihrer Bewegungen verfolgte.
»Ich weiß, was du denkst«, sagte Bentz, als Montoya zurückkam. »Dass Eve Renner Faith Chastains verschollene Tochter ist. Aber du ziehst voreilige Schlüsse. Nur weil sie im passenden Alter ist und adoptiert wurde und weil jemand diese Artikel über die Klinik und Faith Chastain in ihrem Wagen deponiert hat, muss sie nicht gleich das verschwundene Kind sein.«
»Wir sollten der Frage aber nachgehen.«
»Ganz meine Meinung.« Bentz tippte mit dem Ende seines Bleistifts auf den Schreibtisch.
»Wir könnten sie auf den Verdacht ansprechen und um eine DNA -Probe bitten.«
Bentz beobachtete die Tauben auf dem Fensterbrett. »Das ist eigentlich nicht die Aufgabe der Polizei«, wandte er ein. »Es ist kein Verbrechen, wenn eine Frau ein Kind bekommt und niemandem etwas davon sagt.«
»Und was ist mit einer Frau, unter deren Haaransatz sich eine Tätowierung verbirgt? Eine Tätowierung, die sie wahrscheinlich als Patientin bekommen hat, verdammt noch mal?«
»Meines Wissens auch kein Verbrechen. Außerdem ist die Frau längst tot. Wir wissen, wie sie gestorben ist und welche Misshandlungen sie erduldet hatte. Die Tätowierung liegt mehr als zwanzig Jahre zurück. Und wir können nicht einmal sicher sein, ob sie ihr zwangsweise beigebracht wurde.«
»Eine Tätowierung am Kopf, und der Kopf musste dazu rasiert werden … Glaubst du etwa, das hat sie gewollt?«
»Sie war psychisch alles andere als stabil.«
»Ach, hör auf. Die Frau wurde misshandelt. Daran besteht kein Zweifel.« Bentz runzelte die Stirn, konnte es jedoch nicht abstreiten. Ihnen lagen Beweise dafür vor, dass Faith während ihres Klinikaufenthalts das Opfer abscheulicher Verbrechen geworden war.
»Ich weiß, aber sieh doch mal den Tatsachen ins Auge. Dass du so hinter dieser
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