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Cry - Meine Rache Ist Dein Tod

Cry - Meine Rache Ist Dein Tod

Titel: Cry - Meine Rache Ist Dein Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
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reißt doch nur alte Wunden wieder auf.
    Trotzdem ging sie weiter, bog um die nächste Ecke … und blieb wie vom Donner gerührt stehen.
    Der unterste Abschnitt der Feuerleiter war herabgelassen.
    Wie merkwürdig.
    Hatte jemand vergessen, sie wieder hochzuziehen?
    Eve bemerkte ein Stück gelbes Plastik an der untersten Sprosse. Beim näheren Hinsehen erkannte sie, dass es sich um einen abgerissenen Fetzen Flatterband handelte. Langsam ließ sie den Blick nach oben wandern. Die Metallleiter hatte an jedem Fenster einen Absatz. Das Fenster im Erdgeschoss war zugenagelt, doch das im ersten Stock war intakt.
    Konnte sie dort einsteigen?
    Sie musste es versuchen.
    Sie setzte den Rucksack auf, ergriff die unterste Sprosse und zog sich hoch. Ihre Schulter schmerzte, aber sie wusste, wenn sie jetzt losließ, würde sie nicht die Kraft finden, es noch einmal zu versuchen. Also biss sie die Zähne zusammen, strapazierte ihre geschwächten Muskeln aufs äußerste und begann den Aufstieg. Von Sprosse zu Sprosse zog sie sich hoch, bis ihr Fuß endlich auf der untersten Halt fand.
    Ihr Herz hämmerte, Schweiß lief über ihren Rücken. Mehr als einmal fragte sie sich, ob sie tatsächlich nicht ganz richtig im Kopf war, wie die Polizei angedeutet hatte. Doch sie gab nicht auf, nahm eine Sprosse nach der anderen. Mit zusammengebissenen Zähnen erreichte sie schließlich den Absatz im ersten Stock und richtete sich auf. Einen Moment lang blieb sie keuchend stehen.
    Sie sah sich um, rechnete halb damit, dass jemand kam und sie von hier vertrieb, ein Hausmeister oder eine der Nonnen vielleicht. Sie sah jedoch nur einen tieffliegenden Ziegenmelker in den Zweigen einer Kiefer landen.
    Bis auf das leise Rauschen der Sommerbrise war alles still.
    Beinahe zu ruhig.
    Eve verdrängte ihre Beklommenheit. Sie rüttelte am Fenstergriff, doch nichts rührte sich.
    Unverdrossen stieg sie die klapprige Leiter höher hinauf bis zum zweiten Stock. Das Fenster war zersplittert und stand halb offen.
    Beinahe einladend.
    Eve schluckte krampfhaft. Wahrscheinlich war es reine Nachlässigkeit, weiter nichts. Sie drückte gegen den Rahmen, rechnete damit, dass er klemmte oder quietschte, doch er ließ sich problemlos nach oben schieben, als sei er frisch geölt.
    Nicht daran denken,
ermahnte sie sich und kroch in das dunkle, stille Innere des Gebäudes.
    Trotz des offenen Fensters roch es drinnen muffig und feucht, die Böden waren staubig und verschrammt, Tapeten und Farbe blätterten von den Wänden ab.
    Eve fand den Weg nach unten, vorbei an dem Treppenabsatz mit dem bleiverglasten Fenster, das eine Madonna darstellte. Es war noch völlig intakt. Sie strich mit den Fingern über das hölzerne Treppengeländer, wie sie es als Kind getan hatte. Sie beschloss, im Erdgeschoss mit ihrer Suche zu beginnen. Allerdings glaubte sie selbst nicht recht daran, dass sie etwas finden würde, denn nachdem im letzten Herbst ein geisteskranker Mörder hier sein Ende fand, hatte die Polizei das alte Gebäude gründlich auf den Kopf gestellt.
    Wegen Faith Chastain, der Frau, die womöglich deine leibliche Mutter ist.
    Das Erdgeschoss war dunkel und so gut wie leer. Nur wenig Licht sickerte durch die vernagelten Fenster und die defekten Läden. Die Standuhr am Fuß der Treppe, die immer die volle Stunde geschlagen hatte, war nicht mehr da. Im Empfangsbereich gab es noch den langen Tresen, der die Eingangshalle von den Büroräumen dahinter trennte.
    Eve stellte sich vor, wie es hier früher zugegangen war, mit geschäftig umhereilenden Nonnen, bekümmerten Besuchern, fröhlichen, aber strengen Verwaltungsangestellten und Patienten, deren Leben zerrüttet war. Allgegenwärtig waren die Nonnen. Jetzt roch es in dem düsteren Foyer nach Staub und Verwahrlosung. Eve beschlich ein unbehagliches Gefühl, so, als schritte sie über Gräber.
    Hör auf. Das hier ist nichts weiter als ein altes Haus. Nichts Bedrohliches. Draußen ist heller Tag. Also los, bring es hinter dich.
    Im Licht ihrer Taschenlampe ging sie durch die miteinander verbundenen Büroräume und die kurzen, labyrinthartigen Flure. Sie erkannte die Räume wieder, die damals von der Kliniksekretärin, zwei Krankenschwestern, der Ehrwürdigen Mutter und dem Priester benutzt worden waren. Zwar waren die Namensschilder an den Türen verschwunden, doch ein paar verblasste Zahlen waren noch zu erkennen, und Eve erinnerte sich an das Raunen aus halb geöffneten Türen, an die Diskussionen, den Unterton der Besorgnis, an

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