Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cry - Meine Rache Ist Dein Tod

Cry - Meine Rache Ist Dein Tod

Titel: Cry - Meine Rache Ist Dein Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
sichtbaren Verfall war noch etwas anderes zu spüren, etwas Düsteres, ein Gefühl der Verzweiflung, das den weinberankten Mauern anzuhaften schien.
    Werd jetzt um Himmels willen nicht theatralisch! Tu einfach, was zu tun ist.
    Trotzdem quälten Eve böse Vorahnungen. Nicht nur dass sie das Grundstück widerrechtlich betreten hatte – sie hatte zudem das Gefühl, das, was sie hier finden würde, sollte besser im Verborgenen bleiben.
    »Ach, Unfug«, schalt sie sich selbst. Schließlich war helllichter Tag. Sie wollte in das Gebäude eindringen, sich umsehen, herausfinden, ob irgendwo noch Akten lagerten, und dann wieder gehen. Dafür würde sie wahrscheinlich nicht einmal eine Stunde benötigen, sie würde also lange vor der Abenddämmerung fort sein.
    Eve versuchte ihr Glück zuerst an der Hintertür, die in die Küche führte, doch keiner ihrer Schlüssel passte ins Schloss. Als Nächstes ging sie um das Gebäude herum zu einem Seiteneingang am Fuß der einen Feuerleiter.
    Auch hier hatte sie mit den Schlüsseln ihres Vaters keinen Erfolg.
    »Nächster Versuch«, sagte sie zu sich selbst und spürte die Glut der Spätnachmittagssonne im Nacken. Sie befand sich jetzt auf einer weitläufigen Veranda, auf der früher Tische und Sonnenschirme gestanden hatten. Einige der schwächeren Patienten waren in Rollstühlen hergefahren worden. In Kübeln blühten üppige Pflanzen, Liegestühle luden die Patienten zum Sonnenbaden ein. Jetzt gab es hier nichts mehr als rissigen Betonboden, Unkraut, und unter einer hohen Magnolie lag ein verrosteter Gartenstuhl.
    Wenn Eve die Augen schloss, sah sie die Patienten in den Rollstühlen vor sich, die vorbeieilenden Nonnen, die Krankenschwestern, die eine Gruppe jüngerer, schweigender Patienten im Auge hatten, während diese Eve nachblickten, wenn sie mit Roy über den Rasen lief. Wie hieß noch dieser eine Junge? Rick oder Ralph oder Ron … Es fiel ihr nicht mehr ein, doch sein zorniges Gesicht würde sie nie vergessen und auch nicht die flammenden blauen Augen, die sie jedes Mal, wenn sie vorüberging, zu versengen schienen.
    Ihre Nackenhaare sträubten sich; sie wandte sich wieder ihrem Vorhaben zu und schob all die beunruhigenden Erinnerungen von sich, die dieser Ort unweigerlich heraufbeschwor.
    Der Wind war kräftiger geworden, doch er wehte heiß wie der Atem des Teufels und brachte Eve keine Kühlung, keine Entspannung für ihre Nerven. Sie lief weiter zur Vorderseite des Gebäudes, vorbei an wuchernder Myrte, über einen eingesunkenen Weg aus Pflastersteinen im hohen, schütteren Gras.
    Sie erinnerte sich daran, diesen Weg mit ihrem Vater gegangen zu sein. Sie hatte sich anstrengen müssen, um mit seinen langen, energischen Schritten mithalten zu können, und hatte fieberhaft versucht, seine Aufmerksamkeit zu erringen. Vergebens. Wenn er hin und wieder stehen blieb, dann nur, um mit den Schwestern oder Nonnen oder gelegentlich auch mit einem Patienten zu sprechen.
    Nonnen in Schwarz,
    Schwestern in Weiß
    Alles in allem
    Großer Scheiß …
    Roys Stimme klang so klar und deutlich in ihrem Kopf, dass sie um ein Haar gestolpert wäre. Wie oft hatte er ihr diese Worte zugeflüstert? Eines seiner pfiffigen kleinen Gedichte über die Klinik. Ein anderes hatte er »Ode an eine Irrenanstalt« betitelt.
    Gebaut aus Mörtel, Ziegeln, Steinen,
    Bewohnt von Irren, Nonnen, Schweinen.
    In Our Lady of Virtues hat die Sünde die Macht,
    Gott kehrt uns den Rücken und Luzifer lacht.
    Roys Verse waren unbeholfen gewesen, seine Scherze grausam, doch noch jetzt hallten die holperigen Reime in Eves Kopf nach. Sie beschleunigte ihren Schritt, umrundete das Gebäude und gelangte zum Haupteingang mit der geschwungenen Zufahrt und dem kunstvollen, inzwischen jedoch verfallenen Brunnen.
    Sie stieg die Marmorstufen zum Portal hinauf.
    Und wenn alle Schlösser ausgewechselt wurden?
    Was dann?
    Willst du tatsächlich einbrechen?
    Sie probierte den ersten Schlüssel.
    Vergebens.
    Der zweite passte auch nicht.
    »Aller guten Dinge sind drei«, flüsterte sie und versuchte den dritten Schlüssel. Er passte ins Schloss, ließ sich jedoch nicht drehen.
    »Na toll.« Sie zog den Schlüssel wieder ab. Schweiß rann ihr über Gesicht und Rücken. Was hatte sie erwartet? Sie sollte einfach aufgeben. Das Klinikgebäude war bestimmt längst völlig leergeräumt, außerdem hatten Polizei und Spurensicherung dort gearbeitet … Was konnte da noch übrig sein?
    Nichts. Vergiss es. Was willst du noch hier? Das

Weitere Kostenlose Bücher