Cryer's Cross
Fletcher hält Kendalls Hand und drückt sie. Sie wirft ihrer Tochter einen Blick zu. »Okay?«
Kendall nickt zustimmend. Sie kann es nur nicht selbst sagen.
»Okay«, sagt Sheriff Greenwood. »Wann hast du Nico zuletzt gesehen?«
»Gestern in der Schule. Ich musste nach der Schule in die Stadt, um etwas einzukaufen. Er ist nach Hause gegangen.«
»Was einzukaufen?«
Kendall wird dunkelrot. »Tampons. Nicht, dass Sie das etwas angehen würde.«
»Kendall«, mahnt Mrs Fletcher, »sie versuchen doch nur, sich Klarheit zu verschaffen.«
»Tut mir leid, Miss«, entschuldigt sich Sergeant Dunne. »Um wie viel Uhr war das?«
»Drei Uhr fünfunddreißig, glaube ich.«
»Danach hast du ihn nicht mehr gesehen?«
»Nein.«
»Hast du gestern Abend noch mit ihm gesprochen? Am Telefon? Über E-Mail?«
»Meistens ruft er mich gegen elf Uhr an.«
»Hat er gestern auch angerufen?«
Kendall zögert und versucht, sich zu erinnern. »Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Ich bin hier unten vor dem Fernseher eingeschlafen.«
»Ich habe dein Telefon nicht läuten gehört«, wirft Mrs Fletcher ein. Sie wendet sich an die Männer. »Kendall hat ihren eigenen Telefonanschluss in ihrem Zimmer. Hier unten hat es nicht geklingelt, aber mein Mann und ich haben um zehn Uhr geschlafen.«
»Sie gehen freitagabends aber früh ins Bett«, bemerkt der Sergeant.
Mrs Fletcher sieht ihn scharf an. »Wir leben auf einer Farm. Unser Tag beginnt um fünf Uhr morgens, Sir. Und wir haben kein Wochenende.«
Sergeant Dunne nickt. »Ja, Ma’am.« Dann wendet er sich wieder an Kendall. »Du glaubst also nicht, dass er angerufen hat?«
»Ich weiß nicht , ob er angerufen hat. Ich kann mein Telefon hier unten nicht hören.«
Dunne sieht Greenwood an. »Ich lasse die Anschlüsse überprüfen. Bitte schreib mir deine Telefonnummer hier auf. Und Nicos bitte auch.«
»Haben Sie Nicos Nummer nicht schon von Mr und Mrs Cruz bekommen?«, will Mrs Fletcher wissen.
»Ma’am, es könnte mehrere Nummern geben. Teenager verheimlichen ihren Eltern ständig etwas. Nicht wahr, Kendall?« Er sieht sie an.
Stirnrunzelnd erwidert sie seinen Blick. »Ich nicht.«
»In Ordnung, Kendall«, wirft Sheriff Greenwood ein. »Wie war Nico in letzter Zeit? So wie immer oder irgendwie anders. Ist dir irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
Kendall schluckt schwer. Sie mag Sergeant Dunne nicht. Sie will nichts sagen, was Nico in ein schlechtes Licht rücken könnte. Aber sie weiß, dass sie die Wahrheit sagen muss.
»In den letzten Tagen war er mit seinen Gedanken ständig woanders.« Sie spürt, wie ihre Stimme beginnt zu zittern, doch sie behält die Kontrolle. »Wir wollten heute nach Bozeman fahren und uns die Montana State ansehen. Er will Krankenpfleger werden. Ich glaube, das hat ihn beschäftigt.«
Sheriff Greenwood schreibt etwas auf. »Könnte ihn sonst noch etwas abgelenkt haben? Irgendetwas?«
Kendall überlegt. Dann schüttelt sie den Kopf. »Mir fällt nichts ein.«
»Hattet ihr beiden Beziehungsprobleme?«
»Nein. Ich meine, ich habe ihn gefragt, ob er meinetwegen so komisch sei, aber er hat Nein gesagt, er liebe mich wie immer.« Kendall unterdrückt ein Schluchzen, das aus ihrer Brust aufsteigt. Mrs Fletcher legt den Arm um ihre Tochter. Auch sie weint jetzt. Wieder beginnen die bösen Gedanken in Kendalls Kopf herumzuspuken. Gedanken, die sie nicht kontrollieren kann. Könnte Jacián auch Nico etwas angetan haben?
Sheriff Greenwood notiert sich noch ein paar Dinge, dann klappt er sein Notizbuch zu.
»Gut, das war’s fürs Erste.«
Kendall sieht auf. »Werden Sie auch Jacián Obregon befragen?«
Mrs Fletcher schaut Kendall überrascht an.
Sheriff Greenwood schüttelt entschieden den Kopf, und als hätte er es bereits zehnmal erklärt, sagt er gereizt: »Jacián Obregon ist weder in diesem Fall noch in dem von Tiffany Quinn ein Verdächtiger. Hast du irgendeinen Grund zu glauben, dass er es sein sollte? Einen richtigen Grund meine ich, nicht nur Gerüchte?«
Kendall macht den Mund auf, klappt ihn aber wieder zu. »Nein, Sir.«
»Gut. Dann halten wir ihn aus der Sache raus. Er hat genug durchgemacht.«
Kendall starrt den Sheriff einen Moment lang an. »Es tut mir leid.«
Er nickt und lächelt mitfühlend, und plötzlich ist er wieder Elis Vater. »Ist ja nichts passiert.« Er steht auf, und Sergeant Dunne folgt seinem Beispiel. »Wir werden alles tun, um Nico zu finden.«
»Wird es wieder so eine große Suchaktion geben wie bei
Weitere Kostenlose Bücher