Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)
sollte, dürfte seine Rohstoffreserven jedenfalls garantiert längst aufgebraucht haben. Nein, bestimmt hatten die Windräder ihn gerettet, sodass er nun glücklich an der untersten Sprosse der Leiter hing und sich nicht traute, sich fallen zu lassen. Schließlich konnten dort diese kahlen Köter auf ihn lauern – um ihm einen gebührenden Empfang zu bereiten. Mit Pauken und Trompeten.
Wenn er doch bloß eine Waffe hätte. Verzweifelt suchte er den Hof ab. Da! Das könnte gehen! Neben einem offenen Gully lag der Überrest eines Fenstergitters, drei spitze Stäbe, die zu einem geschwungenen Ziergitter zusammengeschmiedet waren. Die Stäbe sahen noch ganz anständig aus, kaum verrostet. Kurz entschlossen ließ er die Sprosse los und flog nach unten. Der Aufprall löste ein elend langes Echo im Hof aus, doch niemand stürzte sich aus dem Gully oder der Tür des Nachbarinstituts auf ihn. Seine Füße schmerzten fürchterlich, als er zu seiner eben auserwählten Waffe humpelte. Zwei Stäbe von je einem Meter Länge ließen sich problemlos abbrechen. Nach kurzer Überlegung nahm er sie beide an sich. Bevor er in den Schlafzustand versetzt worden war, hatte er offenbar nicht nur Fremdsprachen gelernt, sondern musste auch eine beneidenswerte Sparsamkeit entwickelt haben, denn das Kabel, mit dem er das Brecheisen aus dem Keller bei seinem Aufstieg durch den Fahrstuhlschacht auf dem Rücken getragen hatte, wartete aufgewickelt in der Tasche des Overalls auf neue Aufgaben. Über die Schulter gehängt durfte es nun als eine Art Scheide für sein Fenstergitterschwert dienen.
Damit war er bereit, sich in die Stadt hinauszuwagen. Allerdings marschierte er nicht geradewegs zum Tor, sondern beschloss, noch einen Abstecher zu dem offenen Gully zu machen. Was ihn geritten hatte, einen Blick in den Schacht zu werfen, wusste er selbst nicht, gab es doch nichts an diesem Gully, das irgendwie verdächtig gewesen wäre. Aber egal … Erst viel später sollte er für all diese merkwürdigen Impulse eine Erklärung finden: In Minuten extremer Gefahr mussten irgendwelche Sensoren in seinem Hirn anspringen. Ohne diesen Abstecher hätte er den heutigen Tag nämlich nicht überlebt.
Im Schacht steckte kopfüber ein Mann. Kaum erblickte Artur ihn, wich er zurück, denn über die Schuhe des Toten huschte gerade eine Ratte. Im ersten Impuls wollte er sofort zum Tor rennen, doch dann fing er sich: Diese Leiche war frisch. Jedenfalls relativ frisch. Der Typ mochte vielleicht zwei Tage so kopfüber im Schacht stecken, aber bestimmt nicht Jahre. Und ihn hatte garantiert kein Mangel an Impfstoff umgebracht. Er trug eine graue Uniform, möglicherweise die von der Feldmiliz, sowie, bei einem Offizier nicht weiter verwunderlich, ein Schultergehänge. Die Hosen steckten in den Schnürstiefeln.
Im Rücken des Toten zählte Kowal vier Löcher, die vermutlich von Kugeln stammten. Ein Ventil, das weiter unten aus der Wand herausragte, hatte seinen Sturz in die Tiefe verhindert. Das Gesicht des Toten war unter einer Gasmaske verborgen, die von Riemen im dunkelblonden Nacken gehalten wurde. Der Körper verweste bereits langsam, der Bauch war aufgebläht, aber seltsamerweise entdeckte Artur nirgends Bissspuren von Ratten oder Hunden. Was er jedoch entdeckte, waren gleich zwei Halfter, die am Schultergehänge baumelten. Das eine war leer, aber in dem anderen machte Artur ohne jeden Zweifel einen Pistolengriff aus.
Eine solche Möglichkeit dürfte sich ihm wohl kein zweites Mal bieten. Er sah sich noch einmal aufmerksam um, deponierte den einen Stab neben dem Gully und legte sich auf den Bauch. Einen Meter vom Kopf des Toten entfernt blitzte schon wieder der Schwanz einer Ratte auf. Warum um alles in der Welt haben die Viecher ihn nicht angeknabbert? Gut, das war eine dumme Frage – aber immerhin lenkte sie ihn von seiner Panik ab. Mist!, fluchte er, das ist einfach zu tief! Außerdem hatte er nun das Gefühl, von hinten bohre sich ein feindlicher Blick in ihn. Er riss den Kopf hoch, rollte sich auf den Rücken und hielt noch im selben Moment den Stab hoch. Sogar mit dem spitzen Ende nach oben.
Niemand. Nur blinde, rußgraue Fenster umgaben den Hof. Er zwang sich, ruhig durchzuatmen, und zog den Toten dann bis zur Taille aus dem Schacht. Schweißüberströmt sackte er anschließend neben ihm zusammen. Zur Abwechslung fiel auch sein Magen mal wieder Krämpfen zum Opfer.
Irgendwann hob er den Blick – und sah diese kahlen Hunde vor sich. Diesmal gleich drei
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