Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)
ein. Von Karelien bis Kamtschatka hängen Jung und Alt vor dem Fernseher, um ihre Shows zu sehen, während bei uns Dutzende junger Regisseure am Hungertuch nagen. Über unser Öl rümpfen sie die Nase, aber das Gesundheitsministerium behauptet steif und fest, wir müssten denen Serum für hundert Millionen Impfungen abkaufen. Für den Anfang, versteht sich. Danach noch mal für vierhundert Millionen, um die Impfkampagne anständig durchzuführen. Denn in Russland fehlen die Möglichkeiten, Vakzin in dieser Größenordnung herzustellen, das müssen Sie doch zugeben. Obendrein müssen wir heute kaufen, denn morgen ist es zu spät. Was für ein genialer Schachzug dieser Herren Geschäftsleute. Die Gauner O. Henrys hätten es nicht besser einfädeln können.
Niemand hatte vor, uns auszurotten. Das hat nicht nur Russland geglaubt, das hat die ganze Welt geglaubt. Denn die Tests sind erfolgreich verlaufen, das haben renommierte Mediziner bestätigt. Die ganze Welt hat die Kranken gesehen, denen das Leben ein zweites Mal geschenkt worden ist. In drei Jahren sind zwei Medizinnobelpreise für den Sieg über AIDS vergeben worden. Aber was mussten sich meine Kollegen anhören, die es gewagt haben, zu behaupten, unsere eigenen Arbeiten seien keinesfalls schlechter. Geben Sie uns nur etwas Geld für Equipment, für klinische Forschung, haben sie gesagt. Wir brauchen nur ein Zehntel, nein, ein Zwanzigstel der Summen, die in die USA gehen, um dort Impfstoff zu kaufen.
Geradezu in der Luft wurden sie zerrissen. Um das zu begreifen, muss man wissen, was vor fünf Jahren im Fernsehen gezeigt worden ist, zwischen den Werbespots für ein Klosett mit Musik und den Angeboten für eine eigene maßgeschneiderte Fernsehshow. Da ist gezeigt worden, wie ein glückliches nacktes Paar die Präservative zum Fenster hinauswirft und sich im Beisein einer mit einer Spritze bewaffneten Krankenschwester ins Bett stürzt! AIDS ist besiegt, vier Pikser, und die ewige Immunität ist garantiert. Nur dass all diese klugen Leute fünf Jahre für die Ewigkeit hielten.
Gleich wird hier alles in Flammen aufgehen. Sollte die Bibliothek das Feuer überstehen, möchte ich die allgemeine Aufmerksamkeit auf meine Artikel in den Zeitschriften Argumenty i fakty, Krasny Krest und Wedomosti lenken. Sie haben höchst aufschlussreiche Leserbriefe erhalten: Professor treibt acht Millionen infizierte Kinder in den Tod! oder auch: Was kostet Humanität für einige Auserwählte, Doktor Teleschew?
In dem Ton gab es etliche Zuschriften, ein großer Schneeberg, eine ganze Lawine rollte über mich hinweg. Dabei hatte ich nur – genau wie etliche meiner Kollegen – behauptet, dass fünf Jahre längst nicht ausreichen, um eine allgemeine Impfkampagne durchzuführen. Heilt die Kranken im letzten Stadium, aber rührt die Kinder nicht an! Aber hat irgendjemand auf uns gehört? Der Chor verzweifelter Mütter hat uns zum Schweigen gebracht. Und sie hatten ja recht. Tausende von Jugendlichen sind täglich gestorben, und bereits im Jahr 2020 konnte niemand mehr die Zahl der Infizierten exakt beziffern. In den Ländern Afrikas führte man zu diesem Zeitpunkt nicht mal mehr Statistiken … Nicht nur, dass die da oben, die unser aller Gelder vergeuden, mich gerüffelt haben, sie haben mir auch durch die Blume zu verstehen gegeben, diese Frage übersteige meine fachliche Kompetenz und ich solle mich bitte schön fürderhin ausschließlich mit meinen gefrorenen Fröschen beschäftigen. Andernfalls, so deuteten sie zartfühlend an, könnte es passieren, dass mir die Mittel für die Anabiose-Experimente gestrichen würden. Damit waren mir die Hände gebunden. Denn die zuständigen Personen wussten, dass wir schon seit Langem nicht mehr mit Fröschen experimentierten und mittlerweile gute Ergebnisse mit Freiwilligen vorweisen konnten. Jetzt hat sich das Blatt jedoch erneut gewendet, und ich halte mit meiner Position nicht mehr hinterm Berg. Ich kann mit Stolz behaupten, dass wir im Institut bahnbrechende Ergebnisse erzielt haben! Noch dazu während meine Mitarbeiter, allesamt Kandidaten der Wissenschaften, Böden in Hotels wischen mussten, denn mit seinem Gehalt kam niemand mehr über die Runden. Aber das interessierte natürlich keinen.
Vier Jahre nach den ersten Erfolgsmeldungen sind die Drogensüchtigen zu Mehrwegspritzen zurückgekehrt. Ein grandioser Erfolg des Impfstoffs, ohne Frage! Gegen Hepatitis schützt er sie selbstverständlich nicht, ebenso wenig gegen
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