Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)
Geschlechtskrankheiten. Nach weiteren drei Monaten begann dann dieser Albtraum. Wie sich herausstellte, war das Virus nämlich keineswegs bezwungen, sondern hat vier Jahre in Latenz überdauert und dabei erschreckende Eigenschaften entwickelt. Die neuen Stämme erwiesen sich als erstaunlich resistent, sie diffundieren nun in die Speicheldrüse. Damit ist HIV zu einer Tröpfcheninfektion geworden. Nur werden wir mit Sicherheit nie erfahren, welche Rolle dieser vermaledeite Impfstoff dabei gespielt hat. Trotzdem bin ich mir sicher, dass dieses Serum die Katastrophe erst provoziert hat, das Virus erst zu den Mutationen stimuliert hat. Nachdem man diese Gefahr erkannt hatte, brach ein unvorstellbares Chaos aus. Die Inkubationszeit hat sich auf drei Monate reduziert. Dagegen war das alte Virus also geradezu harmlos. Vermutlich dürfte ihre Zahl, also die Zahl der Überlebenden, zu gering sein, als dass Sie sich überhaupt vorstellen könnten, wie Hunderttausende von Menschen die Krankenhäuser in der Hoffnung auf Rettung gestürmt haben. Ebenso viele haben versucht, die Stadt zu verlassen. Wer ein Haus außerhalb von Petersburg besaß, wollte sich dorthin zurückziehen und in aller Ruhe abwarten, bis die Gefahr gebannt war. Nur brachte auch das nichts. Denn im Unterschied zu dem guten alten HIV zeigt sich die neue Form außerordentlich hartnäckig. Sie überdauert unbegrenzte Zeit sowohl in der Luft als auch im Wasser. Ich könnte mir zwar vorstellen, dass es eine Möglichkeit der Entseuchung gibt, nur nimmt sich niemand dieses Problems an.
Den Amerikanern kann man allerdings keinen Vorwurf machen. Sie haben die Produktion neuer Varianten des Impfstoffs unverzüglich aufgenommen. Und dieses Serum sogar kostenlos ausgegeben. Erst haben sie es mit der einen Variante versucht, dann mit der nächsten und der übernächsten. Doch sobald sie einen Stamm unschädlich gemacht hatten, hat sich der nächste gebildet. Ebenfalls kostenfrei haben sie der gesamten Welt Mundschutze und Gasmasken zur Verfügung gestellt. Vergleichbare Maßnahmen wurden auch in anderen Ländern getroffen. Nur dass bei uns diese Geschenke dann gar keine mehr waren. Gut, viel kosteten sie nicht, aber dennoch … Gewisse Personen haben es sehr gut verstanden, dafür zu sorgen, dass die humanitäre Hilfe an jeder Ecke verkauft wurde. Selbst aus unserem Tod haben sie noch Profit geschlagen. Aber lassen wir das: Mit dem Tod kann man mitunter eh die besten Geschäfte machen …
Nun ist alles zu spät. Meine Kräfte verlassen mich. Ich müsste mich sechsmal am Tag spritzen, in einem präzis festgelegten Stundentakt, der mich zwingt, nachts aufzustehen. Der Impfstoff blockiert das Virus nämlich nur vorübergehend. Am Ende sterben wir jedoch alle, wenn auch eines langsamen Todes. Wer aber auch nur eine Spritze auslässt, stirbt etwas schneller.
Gestern habe ich meinen Keller verlassen. In den Straßen hat sich mir ein grauenerregender Anblick geboten. Sollten Sie je Kinder haben, werden diese nie erfahren, wie schön diese Stadt einst während der Weißen Nächte war. Sie werden nur das sehen, was von ihr geblieben ist. Das Rote Kreuz schafft es inzwischen nicht mehr, die Leichen einzusammeln. Niemand darf sich ohne Gasmaske auf offener Straße zeigen, dafür könnte man heute gesteinigt werden. Weil man für einen Wahnsinnigen gehalten wird, der nur noch mehr Menschen mit ins Grab nehmen will. Ich habe gesehen, wie zwei Gruppen vorm Krankenhaus aufeinander losgegangen sind, ohne dass die Miliz eingegriffen hätte. Die ist in den letzten Monaten aber ohnehin nur damit beschäftigt, sich selbst zu schützen. Die Menschen haben sich in Tiere verwandelt. Manche meinen, dass man sich nur abwechselnd den alten und den neuen Impfstoff spritzen müsse, dann würde die Seuche schon besiegt. Nur bekommt man die alten Ampullen kaum noch. Die Apotheken wurden ausgeraubt. Vor meinen Augen wurde eine Pharmazeutin ermordet, die sich weigerte, Diebe ins Lager vorzulassen. Als ich meine Karten für Brot einlösen wollte, habe ich geschlagene vier Stunden in der Schlange angestanden, selbst das noch ohne Erfolg. Essen wird in den Feldküchen der Armee ausgegeben. Seit die Sperrstunde eingeführt wurde, ist es auf den Straßen ruhiger, nur lauern ständig Jugendliche den Rentnern auf, die gerade ihre Ration an Konserven erhalten haben. Die ganze Zeit wird geschossen. Betrunkene Offiziere jagen mit blutjungen Frauen in Jeeps durch die Straßen, während irgendwelche Soldaten auf
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