Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)
Füße jedoch zehn Zentimeter tief in blauem Moos steckten, stand es noch. Einzelne Triebe von diesem Moos rankten sich hoch bis zu den Ohren, wanden sich unterm Bauch entlang und ragten sogar aus den Nüstern heraus.
»Blaues Moos?«, fragte Artur und leckte sich über die trockenen Lippen.
»Ganz genau«, antwortete Daljar ruhig. »Dort gibt es blaues Moos und gelbe Kiefern. Auf den Bäumen hocken Fleder, aber nicht solche wie in Piter. Sondern viel größere.«
»Und diese Fleder haben das Pferd ausgehöhlt?«, fragte Artur, dem der phlegmatische Vampir einfiel, der auf Lews Globus gesessen hatte.
»Nein. Fleder trinken Blut, könnten ein Pferd aber nicht von innen aushöhlen. Außerdem hätten diese Vampire auch niemals vierzig Menschen gegessen«, stellte Daljar klar. »Aber seitdem ist nie wieder jemand nachts durch eine Brandstätte gezogen. Tagsüber droht keine Gefahr, jedenfalls nicht, wenn man auf der Straße bleibt.«
Es kostete sie über sieben Stunden, diese tote Ebene zu durchqueren. Sogar die Hunde der Cowboys hatten hier ihr Gekläff eingestellt. Über den schweißgebadeten Pferden kreisten keine Bremsen, nicht eine Heuschrecke zirpte. Selbst die Sonne schien fahler, fast als bekäme sie in dem flirrenden heißen Nebel keine Luft mehr. Das Heulen der Wölfe, das der Karawane die ganze letzte Nacht hindurch zugesetzt hatte, war weit hinter ihnen zurückgeblieben.
Wahrscheinlich geht das auf das AKW in Sosnowoborsk zurück, vermutete Kowal, der mit dem Fernglas vor Augen die Gegend absuchte. Nein, das kann eigentlich nicht sein, dafür ist die Stadt zu weit weg. Vielleicht also ein AKW , von dem ich gar nichts weiß und das vom Personal aufgegeben worden ist. Wie viele Jahre wohl vergangen sind, seit über diese Gegend eine radioaktive Wolke hinweggefegt ist? Und wie verseucht es hier heute noch ist? Okay, der größte Teil müsste längst abgebaut sein – aber warum sind dann nicht mal Insekten zu sehen? Und was könnte die Ursache des GAU s gewesen sein? Ein Leck im Behälter für das radioaktive Wasser? Oder eine Reaktorexplosion wie damals in Tschernobyl? Antworten würde er auf diese Fragen nicht mehr erhalten, denn heute erinnerte sich niemand mehr an das, was einst geschehen war.
»Feldwebel Schmied!«, rief ein Reiter, der gerade zum Panzerwagen aufschloss. Er gehörte zu Arturs Brandstiftern . »Hier können wir kein Feuer legen, dazu ist der Boden zu feucht. Außerdem weigern sich die Pferde strikt, die Straße zu verlassen …«
Artur warf einen weiteren Blick auf die Ebene, um die Folgen der friedlichen Nutzung der Atomenergie genau zu studieren. Nein …, hielt er für sich fest, das hier hat nichts mit einem AKW zu tun. Aber welches Ausmaß muss dann die Umweltverschmutzung erreicht haben?! Und welche Chemikalien sind überhaupt imstande, auf friedlichem Weg ein derart großes Stück Land in eine Aschewüste zu verwandeln? Es müssten doch Samen und Sporen normaler Pflanzen in diese Gegend getrieben worden sein, die dann versucht haben, Wurzeln zu schlagen. Nur haben die Pflanzen, die das geschafft haben, sofort das Weite gesucht, weil sie unter gar keinen Umständen auf diesem Boden weiterexistieren wollten. Deshalb sind nur ein paar kümmerliche Stängel aus der Erde gesprossen, auf denen sich funkelnde Auswüchse gebildet hatten, die an Schillersporling denken ließen. Nur dass sich diese Pilze nicht im Wind bewegten, sondern eher die Konsistenz von Sülze hatten … Wahrscheinlich hat es hier mal ein Dorf gegeben, überlegte Artur weiter, die Fundamente der Häuser sind ja noch erhalten. Allerdings sind auch sie mit diesem fahlgelben Belag überzogen. Und auch auf den Sträuchern, die zwischen den Steinen stehen, liegt dieses Zeug. Überall, wo die Menschen früher mal in Gemüsegärten gebuddelt haben, ragen Knollenblätterpilze von einem halben Meter in die Höhe. Genauer gesagt, keine Knollenblätterpilze, sondern Filzröhrlinge mit behaartem Hut. Allerdings ist mir kein Bestimmungsbuch bekannt, in dem Pilze mit bananenstaudendicken Stielen beschrieben werden … Nun sah er sich die Straße noch mal an. Sie war im Grunde recht gut in Schuss, denn offenbar waren die Gräser bereits unterm Asphalt eingegangen. Die Pferde der Wachsoldaten trabten zügig – fast schon panisch – vor dem Panzerwagen her, wollten aber die Straße ebenfalls nicht verlassen. Die Sonne vertrieb den dichten Nebelschleier vor ihnen, doch in der Totenstille war nur das Rumpeln des Kirowez und das
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