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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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nicht mehr einsehen kann. Offenbar versuchen sie,Tunesien zu überfliegen, was irgendwie seltsam ist, weil das Land, als Shaftoe das letzte Mal nachgesehen hat, Nazigebiet war – genauer gesagt, der Anker für die Anwesenheit der Achsenmächte auf dem afrikanischen Kontinent. Der allgemeine Flugplan von heute sieht offenbar vor, dass sie die Straße zwischen Biserta und Sizilien überfliegen und dann Südostkurs auf Malta nehmen.
    Über ebendiese Straße kommen sämtliche Verstärkungen und Nachschubgüter Rommels aus Italien und werden in Tunis oder Biserta angelandet. Von dort aus kann Rommel ostwärts in Richtung Ägypten oder westwärts in Richtung Marokko vorstoßen. Seit die britische achte Armee ihn vor mehreren Wochen bei El Alamein (weit, weit drüben in Ägytpten) so fürchterlich verprügelt hat, befindet er sich auf dem Rückzug Richtung Tunis. Und seit die Amerikaner vor wenigen Wochen in Nordwestafrika gelandet sind, kämpft er auch noch an einer zweiten, westlich von ihm gelegenen Front. Und das macht er verdammt geschickt, soweit es Shaftoe beurteilen kann, wenn er zwischen den Zeilen der mit überlauter, makabrer Fröhlichkeit verlesenen Movietone-Wochenschaumeldungen liest, denen er diese Fakten entnommen hat.
    Das alles bedeutet, dass unter ihnen eigentlich riesige, kampfbereite Truppenverbände über die Sahara verteilt sein müssten. Vielleicht findet im Augenblick sogar eine Schlacht statt. Aber Shaftoe sieht nichts. Nur dann und wann eine gelbe, von einem Konvoi aufgewirbelte Staublinie, wie das Sprühen einer über die Wüste gelegten Zündschnur.
    Also redet er mit den Fliegern. Erst als ihm auffällt, dass sie einander Blicke zuwerfen, wird ihm klar, dass er sich ziemlich ausführlich verbreitet. Die Assassinen müssen ihre Opfer dadurch umgebracht haben, dass sie sie totquatschten.
    Ein Kartenspielchen, geht ihm auf, kommt schon gar nicht in Frage. Diese Flieger wollen sich nicht unterhalten. Um ihnen überhaupt ein Wort zu entlocken, müsste er praktisch in die Kanzel hechten und den Steuerknüppel packen. Als sie dann doch irgendwann den Mund aufmachen, hören sie sich komisch an, und ihm wird klar, dass es keine Landsleute sind. Sondern Briten.
    Ansonsten fällt ihm, ehe er es aufgibt und wieder in den Laderaum zurückschleicht, an den beiden nur noch auf, dass sie bis an die Zähne bewaffnet sind. Als rechneten sie damit, auf dem Weg vom Flugzeug zur Latrine und zurück zwanzig bis dreißig Leute umbringen zu müssen. Bobby Shaftoe hat während seiner Dienstzeit ein paar dieser paranoiden Typen kennen gelernt, und er mag sie nicht sonderlich. Die ganze Geisteshaltung erinnert ihn zu sehr an Guadalcanal.
    Er findet neben der Leiche von PFC Gerald Hott ein Plätzchen auf dem Boden und streckt sich aus. Der winzige Revolver in seinem Hosenbund macht es ihm unmöglich, sich auf den Rücken zu legen, deshalb zieht er ihn heraus und steckt ihn in die Tasche. Das allerdings verlagert das Zentrum der Unbequemlichkeit nur auf das Marine-Raider-Stilett, das er in einer Scheide zwischen seinen Schulterblättern verdeckt am Körper trägt. Ihm wird klar, dass er sich seitlich zusammenrollen muss, was nicht geht, weil er auf einer Seite die gängige halbautomatische Colt-Pistole stecken hat, der er nicht traut, und auf der anderen seinen Sechsschüsser von zu Hause, dem er traut. Er muss die beiden also irgendwo anders unterbringen, zusammen mit den diversen Magazinen, Schnellladern und Wartungsmaterialien, die dazu gehören. Auch das außen an seinen Unterschenkel geschnallte, Dschungel rodende, Kokosnuss spaltende, Nips enthauptende V-44-»Gung Ho«-Messer muss er ablegen, desgleichen den Derringer, den er zum Ausgleich am anderen Bein trägt. Das Einzige, was er bei sich behält, sind die Granaten in seinen vorderen Taschen, da er nicht vorhat, sich auf den Bauch zu legen.
    Sie schaffen es gerade noch so zeitig um die Landzunge, dass sie von der unnachgiebigen Flut nicht aufs Meer hinausgespült werden. Vor ihnen liegt ein schlammiger Streifen Watt, der den Boden einer schachtelförmigen kleinen Bucht bildet. Die Wände der Schachtel bestehen aus der Landzunge, um die sie gerade gebogen sind, einer zweiten, deprimierend ähnlichen Landzunge ein paar hundert Meter weiter und einer senkrecht aus dem Schlamm aufsteigenden Felswand. Selbst wenn diese Felswand nicht von unbarmherzig feindseligem, tropischem Dschungel überwuchert wäre, würde sie den Zugang zum Innern von Guadalcanal schon ihrer

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