Cryptonomicon
Gewandtes und nun ist der Zeitpunkt dafür gekommen: Er wechselt das Thema: »Und in der Zwischenzeit sorgst du dafür, dass Churchill und Roosevelt geheime Telefonate führen können?«
»Theoretisch. Ich bezweifle eher, dass es machbar ist. Die Bell Labs haben ein System, das so funktioniert, dass es die Wellenform in mehrere Kanäle zerlegt...«, und schon hat sich Alan in das Thema Telefongesellschaften gestürzt. Er liefert eine komplette Abhandlung zum Thema Informationstheorie und ihre Anwendung auf die menschliche Stimme, und wie sich das auf die Funktionsweise von Telefonsystemen auswirkt. Es ist nur gut, dass Turing sich über ein so weitläufiges Thema verbreiten kann, denn auch der Wald ist weitläufig, und für Lawrence ist immer offensichtlicher geworden, dass sein Freund keine Ahnung hat, wo die Silberbarren vergraben sind.
Von jedwedem Silber unbelastet, fahren die beiden Freunde in der Dunkelheit, die so weit im Norden überraschend früh hereinbricht, nach Hause. Sie reden nicht sehr viel, denn Lawrence ist immer noch damit beschäftigt, alles aufzunehmen und zu verdauen, was ihm Alan über Abteilung 2702, die Geleitzüge, die Bell Labs und die Stimmensignal-Redundanz erzählt hat. Alle paar Minuten saust ein Motorrad an ihnen vorbei, die Satteltaschen prall gefüllt mit verschlüsselten Nachrichten.
In den Lüften
Wie immer man Vieh befördern kann, so ist auch Bobby Shaftoe schon befördert worden: geschlossene Güterwaggons, offene Lkws, Querfeldein-Gewaltmärsche. Nun hat das Militär das fliegende Äquivalent dieser Methoden erfunden, und zwar in Gestalt der Maschine mit den tausend Namen: DC-3, Skytrain, C-47, Dakota Transport, Gooney Bird. Er wird es überleben. Die frei liegenden Aluminiumrippen des Rumpfes versuchen ihn totzuprügeln, doch solange er wach bleibt, kann er sie abwehren.
Die Mannschaften sind in das andere Flugzeug gequetscht. Die Lieutenants Ethridge und Root befinden sich in diesem, zusammen mit PFC Gerald Hott und Sergeant Bobby Shaftoe. Sämtliche weichen Gegenstände im Flugzeug stehen Lieutenant Ethridge zu, der sich vorn, in der Nähe des Cockpits, ein Nest daraus gebaut und sich angeschnallt hat. Eine Zeit lang hat er so getan, als erledige er Schreibkram. Dann hat er es mit Aus-dem-Fenster-Gucken probiert. Mittlerweile ist er eingeschlafen und schnarcht so laut, dass er, ungelogen, sogar die Motoren übertönt.
Enoch Root hat sich in den hinteren Teil des Rumpfes gezwängt, wo es eng wird, und liest zwei Bücher gleichzeitig. Shaftoe findet das typisch – er nimmt an, dass in den Büchern vollkommen unterschiedliche Dinge stehen und dass es dem Priester großes Vergnügen macht, sie gegeneinander ins Feld zu führen, wie diese Leute, die ein Schachbrett auf einem drehbaren Tisch stehen haben, damit sie gegen sich selbst spielen können. Aber wenn man in einer Hütte auf einem Berg wohnt, mit einem Haufen Eingeborener, die keine der sechs Sprachen sprechen, die man beherrscht, dann muss man vermutlich lernen, mit sich selbst zu streiten.
An jeder Seite des Flugzeuges befindet sich eine Reihe kleiner, quadratischer Fenster. Shaftoe blickt nach rechts hinaus, sieht schneebedeckte Berge und macht sich einen Moment lang vor Angst fast in die Hosen, weil er meint, sie hätten sich womöglich in die Alpen verirrt. Aber links sieht es immer noch wie das Mittelmeer aus, das irgendwann Felsformationen vom Typ Devil’s Tower Platz macht, die sich aus steinigem Buschland erheben, und danach kommen nur noch Steine und Sand oder bloß noch Sand ohne die Steine. Sand, der hier und da, ohne ersichtlichen Grund, von Dünengruppen durchkräuselt wird. Verdammt, sie sind immer noch in Afrika! Eigentlich müsste man Löwen, Giraffen und Rhinozerosse sehen! Shaftoe geht nach vorn, um sich bei Pilot und Kopilot zu beschweren. Vielleicht kann er sie ja zu einem Kartenspielchen überreden. Vielleicht ist die Aussicht nach vorne raus spektakulärer.
Er erlebt in jeder Hinsicht eine bittere Enttäuschung. Dass das Vorhaben, eine bessere Aussicht zu finden, zum Scheitern verurteilt ist, sieht er sofort. Es gibt im ganzen Universum nur dreierlei: Sand, Meer und Himmel. Als Marine weiß er, wie langweilig das Meer ist. Die anderen beiden sind auch nicht viel besser. Weit vor ihnen ist eine Wolkenformation zu sehen – irgendeine Front. Mehr gibt es nicht.
Er bekommt einen allgemeinen Eindruck von ihrem Flugplan, ehe man ihm das Blatt aus der Hand reißt und so verstaut, dass er es
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