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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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vorbildlich.
    Schließlich lässt er sich gegen die gerippte Wand des Rumpfes sacken. »Gott sei Dank«, sagt er, »er hat nichts abgekriegt.«
    »Wer?«, fragt Shaftoe.
    »Der Knabe hier«, sagt der Flieger mit einem leichten Klaps auf die Leiche.
    »Und mich wollen Sie nicht untersuchen?«
    »Nicht nötig.«
    »Wieso nicht? Ich lebe immerhin noch.«
    »Sie haben nichts abgekriegt«, sagt der Flieger voller Überzeugung. »Wenn Sie was abgekriegt hätten, würden Sie aussehen wie Lieutenant Ethridge.«
    Zum ersten Mal wagt Shaftoe eine Bewegung. Er stützt sich auf einen Ellbogen und stellt fest, dass der Boden des Flugzeugs von einer roten Flüssigkeit nass und glitschig ist.
    Er hatte einen rosa Sprühnebel in der Kabine bemerkt und angenommen, dass er von einem Leck in einer hydraulischen Leitung herrührte. Aber das hydraulische System scheint nun völlig in Ordnung zu sein und das Zeug auf dem Flugzeugboden ist kein Ölprodukt. Es ist dieselbe rote Flüssigkeit, die in Shaftoes Albtraum eine so herausragende Rolle spielt. Sie strömt von Lieutenant Ethridges gemütlichem Nest herab und der Lieutenant schnarcht nicht mehr.
    Shaftoe sieht sich an, was von Ethridge übrig ist – es hat verblüffende Ähnlichkeit mit dem, was früher am Tag in der Metzgerei herumgelegen hat. Er möchte in Gegenwart des britischen Piloten nicht die Fassung verlieren und tatsächlich fühlt er sich seltsam ruhig. Vielleicht sind es die Wolken; Wolkentage haben schon immer eine beruhigende Wirkung auf ihn gehabt.
    »Mein lieber Schwan«, sagt er schließlich, »die deutsche Zwanzigmillimeter ist schon ein Ding.«
    »Richtig«, sagt der Flieger, »jetzt müssen wir uns von einem Geleitzug sichten lassen und dann werden wir die Ablieferung vornehmen.«
    So rätselhaft die Äußerung auch ist, sie ist das Informativste, was Bobby je über die Aufgaben von Abteilung 2702 gehört hat. Er steht auf und folgt dem Piloten ins Cockpit, wobei sie feinfühlig diversen bebenden Innereien ausweichen, die es vermutlich aus Ethridge herausgeschleudert hat.
    »Sie meinen, von einem alliierten Geleitzug, stimmt’s?«, fragt Shaftoe.
    »Einem alliierten Geleitzug?«, fragt der Pilot spöttisch. »Wo sollen wir denn hier einen alliierten Geleitzug hernehmen? Wir sind hier in Tunesien.«
    »Was soll das dann heißen, wir müssen uns von einem Geleitzug sichten lassen? Sie meinen, wir müssen einen Geleitzug sichten, oder?«
    »Tut mir Leid«, sagt der Flieger, »ich habe zu tun.«
    Als Shaftoe sich umdreht, sieht er Lieutenant Enoch Root neben einem relativ großen Stück von Ethridge knien und dessen Attachékoffer durchsuchen. Shaftoe setzt eine Miene übertriebener moralischer Empörung auf, und sein Gebaren ist ein einziger Vorwurf.
    »Hören Sie, Shaftoe«, blafft Root, »ich befolge nur Befehle. Übernehme an seiner Stelle das Kommando.«
    Er zieht ein kleines, in dicke gelbliche Plastikfolie eingeschlagenes Bündel aus dem Attachékoffer. Er überprüft es und blickt dann abermals tadelnd zu Shaftoe auf.
    »Scheiße, das war doch bloß ein Scherz!«, sagt Shaftoe. »Wissen Sie noch? Wie ich gedacht habe, die Kerle fleddern die Leichen? Damals am Strand?«
    Root lacht nicht. Entweder ist er sauer darüber, dass Shaftoe ihn erfolgreich verarscht hat, oder er findet Leichenfledderer-Humor nicht komisch. Root nimmt das eingeschlagene Bündel mit zu der anderen Leiche, der im Taucheranzug. Er stopft das Bündel unter den Taucheranzug.
    Dann hockt er sich neben die Leiche und grübelt. Er grübelt lange Zeit. Irgendwie macht es Shaftoe einen Riesenspaß, Enoch beim Grübeln zuzugucken: Es ist so, wie wenn man einer exotischen Tänzerin dabei zuguckt, wie sie mit den Titten wackelt.
    Wieder ändert sich das Licht, während sie die Wolken verlassen und tiefer gehen. Die Sonne versinkt gerade und durchdringt den Dunst der Sahara mit einem rötlichen Schimmer. Shaftoe blickt zum Fenster hinaus und sieht zu seiner Verblüffung, dass sie sich mittlerweile über dem Meer befinden. Unter ihnen fährt ein Geleitzug und jedes Schiff pflügt, von der roten Sonne seitlich angeleuchtet, ein sauberes weißes V in das dunkle Wasser.
    Das Flugzeug legt sich in die Kurve und umfliegt den Geleitzug in langsamem Bogen. Shaftoe hört ein fernes Pochen. Am Himmel um sie herum erblühen und verblassen schwarze Blumen. Ihm geht auf, dass die Fliegerabwehr auf den Schiffen sie zu treffen versucht. Dann steigt das Flugzeug wieder in den Schutz der Wolken und es wird nahezu

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