Cryptonomicon
Baumstamm entlang, damit er aus einer überraschenden Position aufspringen und feuern kann und das Maschinengewehr ihm vielleicht nicht den Kopf zerkleinert. Hebt endlich das Rube-Goldberg-Gerät, zu dem seine Springfield geworden ist, stemmt den Schaft in den Sand (bei Verwendung als Granatwerfer würde der Rückstoß einem das Schlüsselbein brechen), zielt damit in Richtung Feind, betätigt den Abzug. Mit einem schrecklichen Wumm und einem Kometenschweif mittlerweile überflüssiger Eisenteile verschwindet der Granatwerferaufsatz M1 wie eine aus ihrem Körper fahrende Seele. Die Ananas steigt, nun ohne Stift und Sicherungshebel, himmelwärts, mit brennender chemischer Zündschnur, sodass sie sogar ein, wieheißtdasdochgleich?, ein inneres Licht besitzt. Shaftoe hat gut gezielt und die Granate fliegt, wohin sie soll. Er hält sich für verdammt gewieft – bis die Granate abprallt, die Felswand hinunterkullert und einen anderen verrotteten Baumstamm in die Luft jagt. Die Nips haben Bobby Shaftoes kleinen Plan vorausgesehen und Netze oder Maschendraht oder irgendwas in der Art gespannt.
Er liegt auf dem Rücken im Schlamm, blickt zum Himmel auf und sagt immer wieder das Wort »Scheiße«. Der ganze Baumstamm bebt und etwas Torfähnliches regnet auf sein Gesicht herab, während die Kugeln das verrottete Holz zerkleinern. Bobby Shaftoe richtet ein Gebet an den Allmächtigen und schickt sich an, einen Banzai-Angriff zu starten.
Dann verstummt das rasend machende Geräusch des Maschinengewehrs und wird vom Geschrei eines Mannes abgelöst. Die Stimme klingt fremd. Shaftoe stützt sich auf einen Ellenbogen und erkennt, dass das Geschrei von der Höhle her kommt.
Er blickt auf, in die großen, himmelblauen Augen von Enoch Root.
Der Priester ist aus seiner Nische im Heck des Flugzeugs hervorgekrochen und hockt Halt suchend an einem der kleinen Fenster. Bobby Shaftoe, der sich unbequem auf den Bauch gewälzt hat, schaut zu einem Fenster auf der gegenüberliegenden Seite des Flugzeugs hinaus. Eigentlich müsste er den Himmel sehen, sieht stattdessen jedoch eine vorbeisausende Sanddüne. Von dem Anblick wird ihm augenblicklich übel. Er erwägt nicht einmal, sich aufzusetzen.
Strahlende Lichtpunkte durchschwirren das Flugzeuginnere wie Kugelblitze, doch in Wirklichkeit – und das ist zunächst alles andere als offensichtlich – sind sie wie Taschenlampenstrahlen gegen die Wand des Flugzeuges gerichtet. Unter Ausnutzung eines leichten Nebels aus zerstäubter hydraulischer Flüssigkeit, der sich in der Luft gebildet hat, verfolgt Bobby Shaftoe die Strahlen zurück und stellt fest, dass sie von einer Reihe kleiner, runder Löcher herrühren, die irgendein Arschloch während seines Nickerchens in die Außenhaut des Flugzeugs gestanzt hat. Durch diese Löcher scheint die Sonne, und das natürlich immer in dieselbe Richtung; das Flugzeug allerdings wechselt die Richtung ständig.
Ihm wird klar, dass er seit dem Aufwachen an der Decke des Flugzeugs liegt, was auch seine Bauchlage erklärt. Als ihm das dämmert, übergibt er sich.
Die hellen Flecken verschwinden allesamt. Sehr, sehr widerwillig riskiert Shaftoe einen Blick zum Fenster hinaus und sieht nur Grau.
Er meint, dass er jetzt wieder auf dem Boden liegt. Jedenfalls liegt er neben der Leiche und die Leiche war festgeschnallt.
Er bleibt mehrere Minuten da liegen, atmet und überlegt einfach nur. Durch die Löcher im Rumpf pfeift so laut Luft, dass es ihm fast den Schädel spaltet.
Irgendwer – irgendein Verrückter – ist auf den Beinen und bewegt sich durch das Flugzeug. Nicht Root, der hinten in seiner kleinen Nische sitzt und sich mit einer Reihe von Gesichtsverletzungen befasst, die er während der Kunstfliegerei abgekriegt hat. Bobby Shaftoe blickt auf und sieht, dass der Herumgehende einer der britischen Flieger ist.
Der Brite hat Pilotenmütze und -brille abgenommen, sodass man sein schwarzes Haar und seine grünen Augen sieht. Er ist Mitte dreißig, ein alter Mann. Er hat ein knorriges Gebrauchsgesicht, dessen diverse Knorren, Knubbel und Öffnungen allesamt einem bestimmten Zweck zu dienen scheinen, ein Gesicht, das die gleichen Kerle entworfen haben, die auch Granatwerfer konstruieren. Es ist ein einfaches und verlässliches Gesicht, alles andere als gut aussehend. Er kniet neben der Leiche von Gerald Hott und untersucht sie eingehend mit einer Taschenlampe. Er ist der Inbegriff der Fürsorge; sein Umgang mit seinem Patienten ist
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