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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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dunkel.
    Zum ersten Mal seit einer ganzen Weile sieht er sich wieder nach Enoch Root um. Der hat sich in seine kleine Nische zurückgezogen und liest beim Licht einer Taschenlampe. Auf seinem Schoß liegt ein aufgeschlagenes Bündel Papiere. Es handelt sich um das Bündel, das Root aus Ethridges Attachékoffer genommen und in Gerald Hotts Taucheranzug gesteckt hat. Shaftoe nimmt an, dass die Begegnung mit Geleitzug und Fliegerabwehr Enoch Root den Rest gegeben und dass er das Bündel gleich wieder herausgezerrt hat, um es sich anzusehen.
    Root schaut auf und erwidert Shaftoes Blick. Er wirkt weder nervös noch schuldbewusst. Sein Blick ist auffallend ruhig und gelassen.
    Shaftoe hält dem Blick eine ganze Weile stand. Wenn auch nur die kleinste Spur von Schuldbewusstsein oder Nervosität darin läge, würde er den Kaplan als deutschen Spion anzeigen. Aber das ist nicht der Fall – Enoch Root arbeitet nicht für die Deutschen. Er arbeitet auch nicht für die Alliierten. Er arbeitet für eine Höhere Macht. Shaftoe nickt unmerklich und Roots Blick wird weicher.
    »Sie sind alle tot, Bobby«, ruft er.
    »Wer?«
    »Die Inselbewohner. Die Sie am Strand von Guadalcanal gesehen haben.«
    Deshalb also ist Root, was Leichenfledderer-Scherze angeht, so empfindlich. »Tut mir Leid«, sagt Shaftoe und geht weiter nach hinten, damit sie sich nicht brüllend unterhalten müssen. »Wie ist das passiert?«
    »Nachdem wir Sie in meine Hütte geschafft hatten, habe ich eine Nachricht an meine Oberen in Brisbane gefunkt«, sagt Root. »In einem speziellen Code verschlüsselt. Ihnen gesagt, ich hätte einen Marine Raider aufgelesen, der allem Anschein nach vielleicht sogar überleben würde, und ob bitte jemand vorbeikommen und ihn abholen könnte.«
    Shaftoe nickt. Er erinnert sich, dass er eine Menge Morsezeichen gehört hatte, jedoch von Fieberanfällen, Morphium und dem, was Root an Hausmittelchen aus seiner Zigarrenkiste zog, völlig erledigt gewesen war.
    »Tja, sie haben geantwortet«, fährt Root fort, »und gesagt: ›Wir können nicht kommen, aber würden Sie ihn bitte da- und dahin bringen und sich mit ein paar anderen Marines treffen. ‹Was wir dann ja auch getan haben, wie Sie sich erinnern werden.«
    »Ja«, sagt Shaftoe.
    »So weit, so gut. Aber als ich Sie übergeben hatte und zur Hütte zurückkam, waren die Japaner schon dagewesen. Hatten jeden Inselbewohner umgebracht, den sie finden konnten. Die Hütte niedergebrannt. Überhaupt alles verbrannt. Drum herum Minen gelegt, die mich beinahe erwischt hätten. Ich bin mit knapper Not lebendig dort rausgekommen.«
    Shaftoe nickt, wie nur einer nicken kann, der die Nips in Aktion erlebt hat.
    »Tja, man hat mich nach Brisbane evakuiert, und dort habe ich angefangen, wegen der Codes Stunk zu machen. Denn nur darüber konnten sie mich gefunden haben – offensichtlich waren unsere Codes geknackt worden. Und nachdem ich genug Stunk gemacht hatte, hat offenbar jemand gesagt: ›Sie sind Brite, Sie sind Priester, Sie sind Arzt, Sie können mit einem Gewehr umgehen, Sie können morsen, und vor allem, Sie sind eine fürchterliche Nervensäge – also ab mit Ihnen!‹ Und ehe ich mich’s versehe, stehe ich in Algier in diesem Kühlhaus.«
    Shaftoe wendet den Blick ab und nickt. Root scheint zu kapieren, was damit gemeint ist, nämlich dass Shaftoe auch nicht mehr weiß als er.
    Schließlich schlägt Enoch Root das Bündel wieder genauso ein, wie es vorher war. Aber er legt es nicht in den Attachékoffer zurück. Er stopft es in Gerald Hotts Taucheranzug.
    Später kommen sie in der Nähe eines von Mondlicht erleuchteten Hafens wieder aus den Wolken heraus und gehen bis knapp über die Wasseroberfläche herunter, wo sie so langsam fliegen, dass selbst Shaftoe, der nichts von Flugzeugen versteht, spürt, dass sie kurz davor sind zu überziehen. Sie öffnen die Seitentür der Dakota und werfen die Leiche von PFC Gerald Hott mit eins-zwei-drei-jetzt ins Meer. Er fällt mit einem Platsch hinein, der im Stadtteich von Oconomowoc gewaltig wäre, im Ozean jedoch nicht viel hermacht.
    Ungefähr eine Stunde später landen sie denselben Gooney Bird auf einer Piste inmitten eines gewaltigen Luftangriffs. Sie lassen den Skytrain am Ende der Piste neben der anderen C-47 stehen und laufen durch die Dunkelheit, immer den britischen Piloten hinterher. Dann steigen sie eine Treppe hinunter und sind unter der Erde – genauer gesagt, in einem Luftschutzbunker. Jetzt können sie die Bomben noch

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