Cryptonomicon
spüren, aber nicht mehr hören.
»Willkommen auf Malta«, sagt jemand. Shaftoe blickt sich um und sieht, dass er von Männern in britischen und amerikanischen Uniformen umgeben ist. Die Amerikaner kennt er – es handelt sich um den Marine-Raider-Zug aus Algier, der mit der anderen Dakota hergeflogen ist. Die Briten sind ihm unbekannt, und Shaftoe vermutet in ihnen die SAS-Leute, von denen die Burschen in Washington ihm erzählt haben. Das Einzige, was sie alle gemeinsam haben, ist, dass jeder irgendwo an seiner Uniform die Zahl 2702 trägt.
VERTRAULICHKEITSVEREINBARUNG
Avi taucht pünktlich auf, zuckelt in seinem recht guten, aber nicht so widerlich protzigen japanischen Sportwagen behutsam die steile Straße hinauf, die zu einem Mosaik aus Asphaltplatten zersprungen ist. Randy sieht vom ersten Stock aus zu, wobei sein Blick durch die Verglasung des Sonnendachs gut fünfzehn Meter senkrecht in die Tiefe geht. Avi trägt die Hose eines guten Straßenanzugs von tropischer Leichtigkeit, ein maßgeschneidertes Hemd aus Sea-Island-Baumwolle, eine dunkle Skibrille und einen breitkrempigen Hut aus Segeltuch.
Das Haus ist ein großes, isoliert stehendes Gebäude, das sich einige Kilometer vom Pazifik entfernt mitten in von dort her ansteigendem kalifornischem Weideland erhebt. Eiskalte Luft kommt den Hang herauf, wie die Brandung an einem Strand in langsamen Wogen steigend und fallend. Nachdem Avi ausgestiegen ist, zieht er sich als Erstes sein Jackett an.
Aus dem kleinen Kofferraum in der Schnauze seines Autos hievt er zwei überdimensionale Laptopkoffer, geht ohne anzuklopfen ins Haus (in diesem speziellen Haus war er noch nicht, wohl aber in anderen, in denen es so ähnlich zuging), trifft auf Randy und Eb, die ihn in einem der vielen Zimmer erwarten und hievt tragbares Computergerät im Wert von fünfzehntausend Dollar aus den Taschen. Er baut es auf einem Tisch auf. An zwei Laptops drückt Avi den Startknopf, und während sie langsam hochfahren, schließt er sie ans Stromnetz an, damit ihre Batterien sich nicht verbrauchen. Ein Rohrkabel mit geerdeten dreiadrigen Steckanschlüssen etwa alle fünfundvierzig Zentimeter ist gnadenlos entlang der ganzen Wand verschraubt worden und überbrückt so Gipsplatten, Löcher in den Gipsplatten, Op-art-Klebefolie aus grauer Vorzeit, imitierte Holzvertäfelungen, verblasste Grateful-Dead-Poster und ab und zu sogar eine Türöffnung.
Einer der Laptops ist mit einem kleinen tragbaren Drucker verbunden, den Avi mit ein paar Blättern füttert. Der andere Laptop lädt einige Textzeilen, die über seinen Bildschirm laufen, piept und hält an. Randy schlendert hinüber und wirft einen neugierigen Blick darauf. Der Monitor zeigt eine Eingabeaufforderung:
FILO.
Was, wie Randy weiß, die Abkürzung für Finux Loader ist, ein Programm, das es einem erlaubt, zu entscheiden, welches Betriebssystem geladen werden soll.
»Finux«, murmelt Avi und beantwortet damit Randys unausgesprochene Frage.
Randy tippt »Finux« und drückt die Eingabetaste. »Wie viele Betriebssysteme hast du auf diesem Ding?«
»Windows 95 für Spiele und wenn ich einmal irgendeinem Hinterwäldler vorübergehend meinen Computer leihen muss«, antwortet Avi. »Windows NT für Geschäftskram. BEOS zum Hacken und um mit verschiedenen Medien herumzuspielen. Finux für industriefähige Satztechnik.«
»Welches willst du jetzt?«
»BEOS. Will ein paar JPEGs zeigen. Ich nehme an, dass es hier einen Overheadprojektor gibt?«
Randys Blick wandert hinüber zu Eb, dem einzigen Menschen in diesem Raum, der auch hier wohnt. Eb erscheint größer, als er ist, und das liegt vielleicht an seinem förmlich explodierenden Haar: über einen halben Meter lang, blond mit einem leichten rötlichen Schimmer, dicht, wellig und mit einer Tendenz zum Strähnigen. Keine Haarspange ist groß genug dafür, so dass er, wenn er es überhaupt nach hinten bindet, ein Stück Schnur verwendet. Eb kritzelt auf einem kleinen Computer herum, einem dieser Grafiktabletts, die man mit Hilfe eines Stifts direkt beschreiben kann. Normalerweise benutzen Hacker sie nicht, aber Eb (oder besser eine von Ebs nicht mehr existierenden Firmen) hat die Software für dieses Modell geschrieben, weshalb jetzt eine Menge davon bei ihm herumliegen. Er scheint in allem, was er tut, voll aufzugehen, aber nachdem Randy zwei Sekunden lang in seine Richtung geschaut hat, merkt er es und hebt den Kopf. Er hat blassgrüne Augen und trägt einen üppigen roten Bart, außer
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