Cryptonomicon
wenn er sich in einer seiner Rasierphasen befindet, die normalerweise mit ernsthaften romantischen Verwicklungen zusammenfallen. Jetzt ist sein Bart gerade etwa anderthalb Zentimeter lang, was auf eine unlängst vollzogene Trennung hindeutet und die Bereitschaft impliziert, neue Risiken einzugehen.
»Overheadprojektor?«, sagt Randy.
Eb schließt die Augen, was er während des Speicherzugriffs immer tut, dann steht er auf und geht aus dem Zimmer.
Der kleine Drucker fängt an, Papier auszuwerfen. Die erste, oben auf der Seite zentrierte Textzeile lautet: VERTRAULICHKEITSVEREINBARUNG. Darauf folgen noch weitere Zeilen. Randy hat diese oder ähnliche schon so oft gesehen, dass sein Blick glasig wird und er sich abwendet. Das Einzige, was sich jedes Mal verändert, ist der Name der Firma: in diesem Fall EPIPHYTE(2) CORP.
»Nette Sonnenbrille.«
»Wenn du die hier komisch findest, musst du erst mal sehen, was ich aufsetze, wenn die Sonne untergeht«, sagt Avi. Er wühlt in einer Tasche und zieht einen kompliziert aussehenden Apparat hervor, der aussieht wie eine Brille ohne Gläser, an der über jedem Auge eine puppenhausgroße Lampenfassung montiert ist. Von dort führt ein Draht hinunter zu einem Batteriepack mit Gürtelschlaufen. Er betätigt einen kleinen Schalter an dem Batteriepack und die Lichter gehen an: teuer aussehendes blauweißes Halogenlicht.
Randy zieht die Augenbrauen hoch.
»Alles, um den Jetlag zu vermeiden«, erklärt Avi. »Ich bin an die asiatische Zeit gewöhnt. In zwei Tagen fliege ich dorthin zurück. Ich will nicht, dass mein Körper sich wieder auf die Westküstenzeit einstellt, solange ich hier bin.«
»Aha. Der Hut und die Sonnenbrille...<
»Täuschen Nacht vor. Und dieses Ding simuliert Tageslicht. Weißt du, dein Körper richtet sich nach dem Licht und stellt seine Uhr entsprechend ein. Apropos, würdest du bitte die Rollläden herunterlassen?«
Der Raum hat Fenster, die nach Westen gehen und einen Ausblick über den grasigen Hang bis hinunter zur Half Moon Bay gewähren. Es ist später Nachmittag und das Sonnenlicht strömt herein. Randy genießt für einen Augenblick die Aussicht, dann lässt er die Rollläden herunter.
Als Eb steifbeinig in den Raum zurückkommt, hängt an seiner Hand ein Overheadprojektor, sodass er einen Moment lang aussieht wie Beowulf mit dem abgetrennten Arm eines Ungeheuers in der Hand. Er stellt ihn auf den Tisch und richtet ihn auf die Wand. Eine Leinwand ist überflüssig, denn oberhalb der allgegenwärtigen Stromkabel ist jede Wand im Haus mit weißen Tafeln bedeckt. Von denen wiederum viele mit in Grundfarben geschriebenen, geheimnisvollen Zauberformeln bedeckt sind. Manche von ihnen sind von unregelmäßigen Linien eingerahmt und mit der Bemerkung NICHT WEGWISCHEN! oder einfach NWW oder NEIN! versehen. An der Stelle, auf die Eb den Overheadprojektor gerichtet hat, steht eine Liste mit Lebensmitteln, das nur noch halb vorhandene Fragment eines Flussdiagramms, eine Faxnummer in Russland, ein paar gepunktete Vierecke – Internet-Adressen – und ein paar Worte in Deutsch, die Eb vermutlich selbst geschrieben hat. Dr. Eberhard Föhr überfliegt das alles, kommt zu dem Schluss, dass nichts davon sich innerhalb einer NWW-Umrandung befindet, und wischt es mit einem Schwamm weg.
Zwei weitere Männer betreten, in ein Gespräch über irgendeine enervierende Firma in Burlingame vertieft, den Raum. Der eine ist dunkel und schlank und sieht aus wie ein Revolverheld; er trägt sogar einen schwarzen Cowboyhut. Der andere ist rundlich und blond und sieht aus, als käme er geradewegs aus einem Rotary Club Meeting. Eins haben sie allerdings gemeinsam: Beide tragen sie ein glänzendes Silberarmband am Handgelenk.
Randy nimmt die VVs aus den Druckern und verteilt sie jeweils in doppelter Ausfertigung, wobei auf jedem Exemplar ein Name vorgedruckt ist: Randy Waterhouse, Eberhard Föhr, John Cantrell (der Typ mit dem schwarzen Cowboyhut) und Tom Howard (der Blonde aus der amerikanischen Mittelschicht). Als John und Tom nach den Blättern greifen, fangen sich in den Silberarmbändern vereinzelte Lichtstrahlen, die sich durch die Rollläden stehlen. Jedes ist mit einem roten Äskulapstab und mehreren Textzeilen bedruckt.
»Die sehen neu aus«, bemerkt Randy. »Haben sie schon wieder den Wortlaut geändert?«
»Allerdings!«, antwortet John Cantrell. »Das hier ist Version 6.0 – erst letzte Woche rausgekommen.«
Überall sonst würden die Armbänder bedeuten, dass
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