Cryptonomicon
Inselkette eine durchlässige Barriere zwischen Asien und einer großen Landmasse, die mit englischen Wörtern wie Darwin und Great Sandy Desert beschriftet ist.
»Den meisten von euch kommt das sicher seltsam vor«, sagt Avi. »Normalerweise steht am Anfang einer solchen Präsentation das Diagramm eines Computernetzwerks oder ein Flussdiagramm oder so etwas. In der Regel arbeiten wir nicht mit Landkarten. Wir sind alle so daran gewöhnt, uns in rein abstrakten Gefilden zu bewegen, dass es uns fast merkwürdig vorkommt, in die reale Welt rauszugehen und richtig körperlich etwas zu tun.
Aber ich liebe Landkarten. Mein ganzes Haus ist voll davon. Und ich möchte euch darauf hinweisen, dass das Wissen und die Fertigkeiten, die wir alle in unserer Arbeit – speziell in Bezug auf das Internet – entwickelt haben, Anwendungsbereiche hier draußen finden.« Er klopft auf die Tafel. »In der realen Welt. Ihr wisst schon, auf dem großen, runden, feuchten Ball, auf dem Milliarden von Menschen leben.«
Hier und da ist ein höfliches Kichern zu hören, während Avi mit der Hand über den Trackball seines Computers fährt und mit dem Daumen eine Taste drückt. Ein neues Bild erscheint: dieselbe Landkarte mit hellen farbigen Linien, die quer über den Ozean verlaufen und, grob den Küstenlinien folgend, in Schleifen von einer Stadt zur nächsten führen.
»Bereits existierende Tiefseekabel. Je dicker die Linie, desto größer die Leitung«, sagt Avi. »Und, was stimmt an diesem Bild nicht?«
Mehrere dicke Linien führen, vermutlich als Verbindung zu den Vereinigten Staaten, von Punkten wie Tokio, Hongkong und Australien ostwärts. Über das Südchinesische Meer, das zwischen den Philippinen und Vietnam liegt, verläuft eine andere Linie grob von Süden nach Norden, ohne jedoch eins dieser beiden Länder zu berühren: Sie führt direkt nach Hongkong, dann weiter die chinesische Küste entlang nach Schanghai, Korea und Tokio.
»Da die Philippinen sich in der Mitte der Landkarte befinden«, sagt John Cantrell, »wirst du uns vermutlich darauf hinweisen, dass so gut wie keine dicke Linie zu den Philippinen führt.«
»So gut wie keine dicke Linie führt zu den Philippinen!«, wiederholt Avi forsch. Er deutet auf die einzige Ausnahme, die von Taiwan in südliche Richtung nach Nordluzon und von dort in Sprüngen die Küste hinunter nach Corregidor verläuft. »Außer dieser einen, mit der Epiphyte (1) zu tun hat. Das ist es aber nicht allein. Es gibt einen generellen Mangel an dicken Linien in Nord-Süd-Richtung, an Verbindungen zwischen Australien und Asien. Eine Menge Datenpakete, die von Sydney nach Tokio gehen, müssen über Kalifornien geschickt werden. Da liegen Marktchancen.«
Beryl unterbricht ihn. »Bevor du hier richtig einsteigst, Avi«, sagt sie in vorsichtigem, bedauerndem Ton, »muss ich sagen, dass die Verlegung von Tiefseefernkabeln ein Geschäft ist, in dem man nur schwer Fuß fassen kann.«
»Beryl hat Recht!«, sagt Avi. »Die Einzigen, die das nötige Kleingeld haben, um diese Kabel zu verlegen, sind AT&T, Cable & Wireless und Kokusai Denshin Denwa. Es ist eine heikle Angelegenheit. Es ist teuer. Und es setzt die Bereitschaft zu hohen VA voraus.«
Die Abkürzung steht für »verlorene Ausgaben«; gemeint sind die Ausgaben für die Erstellung eines Machbarkeitsgutachtens die, falls das Ergebnis negativ ausfällt, für die Katz wären.
»Wie denkst du denn nun darüber?«, möchte Beryl wissen.
Avi klickt eine andere Landkarte an. Es ist dieselbe wie vorher, nur sind hier neue Linien eingezeichnet: eine ganze Reihe kurzer Verbindungen von Insel zu Insel. Eine Kette aus verblüffend zahlreichen kurzen Hüpfern über die ganze Länge des philippinischen Archipels.
»Du willst die Philippinen verkabeln und über eure bereits existierende Verbindung nach Taiwan ins Netz einbauen«, sagt Tom Howard in dem heroischen Versuch, einen, wie er vermutet, langatmigen Teil von Avis Präsentation zu umschiffen.
»Informationstechnisch gesehen werden die Philippinen demnächst ganz groß rauskommen«, sagt Avi. »Der Staat hat seine Schwachstellen, aber im Grunde ist es eine Demokratie nach westlichem Muster. Im Gegensatz zu den meisten Asiaten arbeiten sie mit ASCII. Sie sprechen großenteils Englisch. Schon lange bestehende Verbindungen zu den Vereinigten Staaten. Diese Leute werden früher oder später in der Informationswirtschaft eine wichtige Rolle spielen.«
Randy schaltet sich ein. »Wir haben dort bereits
Weitere Kostenlose Bücher