Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
sogar die Fenster, wodurch sie Avis Hotelzimmer ein bunkerartiges Ambiente verleihen. Epiphyte Corp. ist zu ihrer ersten ordnungsgemäßen Aktionärsversammlung seit zwei Monaten zusammengekommen. Avi Halaby, Randy Waterhouse, Tom Howard, Eberhard Föhr, John Cantrell und Beryl Hagen drängen in den Raum und plündern, was es an Snacks und alkoholfreien Getränken in der Minibar gibt. Manche lassen sich auf dem Bett nieder. Eberhard setzt sich barfuß und im Schneidersitz, den Laptop vor sich auf einem Schemel, auf den Boden. Avi bleibt stehen. Er verschränkt die Arme und lehnt sich mit geschlossenen Augen an die aus Tropenholz gezimmerten Mahagonitüren seines Radio- und Fernsehcenters. Er trägt ein blitzsauber gewaschenes und gebügeltes weißes Hemd, das so frisch und fest gestärkt ist, dass es immer noch bei jeder Bewegung raschelt. Bis vor fünfzehn Minuten hatte er noch ein T-Shirt am Leib, das er achtundvierzig Stunden lang nicht ausgezogen hatte.
    Für einen Moment denkt Randy, Avi sei vielleicht in der unorthodoxen stehenden Haltung eingeschlafen. Doch plötzlich sagt Avi mit ruhiger Stimme: »Schaut euch einmal die Karte da an.« Er öffnet die Augen und richtet sie darauf, ohne mit einer Drehung des Kopfes wertvolle Energie zu verschwenden. »Singapur, der südliche Zipfel von Taiwan und der nördlichste Punkt von Australien bilden ein Dreieck.«
    »Avi«, unterbricht Eb ernst, »drei Punkte bilden immer ein Dreieck.« Normalerweise ist Eberhard nicht dafür bekannt, dass er ihre Meetings mit Humor würzt, aber jetzt geht ein Kichern durch den Raum und Avi grinst – weniger, weil es witzig ist, als weil es von guter Stimmung zeugt.
    »Was befindet sich in der Mitte des Dreiecks?«
    Alle schauen erneut hin. Die korrekte Antwort lautet ein Punkt mitten in der Sulusee , doch es ist klar, worauf Avi hinauswill. »Wir«, sagt Randy.
    »So ist es«, sagt Avi. »Kinakuta besitzt die ideale Lage, um als elektronische Kreuzung zu fungieren. Der perfekte Ort, um große Router zu installieren.«
    »Hört sich an, als wolltest du Aktionäre bequatschen«, sagt Randy.
    Avi überhört ihn. »So ist es wirklich viel sinnvoller.«
    »Wie?«, fragt Eb scharf.
    »Ich habe gemerkt, dass noch andere Kabelleute hier sind, eine Gruppe aus Singapur und ein Konsortium aus Australien und Neuseeland. Mit anderen Worten: Früher waren wir der einzige Datenüberträger in die Krypta. Am Ende dieses Tages werden wir vermutlich einer von dreien sein.«
    Tom Howard grinst triumphierend: Er arbeitet in der Krypta und wusste es wahrscheinlich vor allen anderen. Randy und John Cantrell wechseln einen Blick.
    Eb setzt sich steif auf. »Wie lange habt ihr schon davon gewusst?«, fragt er.
    Randy bemerkt, wie ein Ausdruck des Ärgers über Beryls Gesicht huscht. Sie mag es nicht, wenn man zu genau nachfragt.
    »Würdet ihr anderen Eb und mich für eine Minute entschuldigen?«, sagt Randy und steht auf.
    Dr. Eberhard Föhr wirkt verblüfft, rappelt sich dann aber hoch und folgt Randy aus dem Zimmer. »Wohin gehen wir?«
    »Lass deinen Laptop hier«, sagt Randy und führt ihn auf den Flur hinaus. »Wir gehen nur hier raus.«
    »Warum?«
    »Es ist so«, beginnt Randy, während er die Tür zuzieht, aber nicht ins Schloss fallen lässt. »Erfahrene Geschäftsleute wie Avi und Beryl haben eine bemerkenswerte Vorliebe für Gespräche unter vier Augen – so wie du und ich gerade eins führen. Nicht nur das, sie schreiben nur sehr selten etwas auf.«
    »Erklär mir das.«
    »Es hat irgendwie mit der Informationstheorie zu tun. Nehmen wir an, der schlimmste Fall tritt ein und es kommt zu juristischen Verwicklungen...«
    »Juristische Verwicklungen? Wovon sprichst du überhaupt?«
    Eb stammt aus einer kleiner Stadt nahe der dänischen Grenze. Sein Vater war Mathematiklehrer am Gymnasium, seine Mutter Englischlehrerin. Aufgrund seines Aussehens wäre er in seiner Heimatstadt wahrscheinlich ein Außenseiter, aber wie viele der Leute, die noch dort leben, ist er davon überzeugt, dass man klar, offen und logisch an die Dinge herangehen sollte.
    »Ich will dich nicht beunruhigen«, sagt Randy, »oder andeuten, dass so etwas gerade im Gange ist oder sich zusammenbraut. Aber so wie Amerika nun einmal ist, würdest du dich wundern, wie oft geschäftliche Operationen zu Prozessen führen. Und dann müssen sämtliche Dokumente offen gelegt werden. Deshalb halten Leute wie Avi und Beryl nie etwas schriftlich fest, was sie nicht auch in öffentlicher

Weitere Kostenlose Bücher