Cryptonomicon
Er findet das interessant. »Ach ja?«
»Ja, Sir. Das war hundertprozentig ein Unfall.«
Root reißt ein Päckchen mit einer sterilen Binde auf und beginnt sie um Monkbergs Bein zu wickeln; sofort sickert das Blut durch, und zwar schneller, als er neue Schichten um das Bein wickeln kann. Allmählich aber gewinnt er die Oberhand und die Binde bleibt weiß und sauber. »Ich schätze, es ist an der Zeit, eine strategische Entscheidung zu treffen«, sagt er. »Ich sage, wir lassen die Codebücher zurück, genau wie Lieutenant Monkberg sagt.«
»Aber wenn er ein deutscher Spion ist -«, beginnt Benjamin.
»Dann ist er fällig, sobald wir Freundesland erreichen«, sagt Root.
»Aber Sie haben doch selbst gesagt, dass da nur sehr geringe Aussichten bestehen.«
»Das hätte ich nicht sagen dürfen«, sagt Enoch Root entschuldigend. »Das war eine unkluge und unbedachte Bemerkung. Sie hat den wahren Geist von Abteilung 2702 außer Acht gelassen. Ich bin überzeugt, dass wir uns trotz unseres kleinen Problems hier behaupten werden. Ich bin überzeugt, dass wir es bis Schweden schaffen und dass wir Lieutenant Monkberg mitnehmen werden.«
»Recht so!«, sagt Monkberg.
»Falls es irgendwann so aussieht, als simuliert Lieutenant Monkberg, oder falls er freiwillig zurückbleiben will oder sich auf irgendeine Weise so verhält, dass sich unser Risiko, von den Deutschen gefangen genommen zu werden, erhöht, dann können wir alle getrost davon ausgehen, dass er ein deutscher Spion ist.«
Monkberg scheint das völlig kalt zu lassen. »Na, dann nichts wie weg hier!«, platzt er heraus und kommt, vom Blutverlust etwas unsicher, auf die Beine.
»Halt!«, sagt Sergeant Shaftoe.
»Was ist denn nun noch, Shaftoe?«, blafft Monkberg, der wieder das Kommando übernommen hat.
»Woher sollen wir wissen, ob er das Risiko, dass wir gefangen genommen werden, erhöht?«
»Wie meinen Sie das, Sergeant Shaftoe?«, fragt Root.
»Vielleicht merken wir gar nichts«, sagt Shaftoe. »Vielleicht lauert uns ja an einem bestimmten Ort in den Wäldern eine deutsche Abteilung auf. Und vielleicht führt uns Lieutenant Monkberg direkt in die Falle.«
»Bravo, Sarge!«, sagt Corporal Benjamin.
»Lieutenant Monkberg«, sagt Enoch Root, »als derjenige, der einem Schiffsarzt hier am nächsten kommt, enthebe ich Sie aus medizinischen Gründen Ihres Kommandos.«
»Was für medinzinische Gründe?«, schreit Monkberg entsetzt.
»Ihnen fehlt Blut und das bisschen, was Sie haben, ist mit Morphium versetzt«, sagt Lieutenant Enoch Root. »Deshalb muss Ihr Stellvertreter das Kommando übernehmen und sämtliche Entscheidungen über unser weiteres Vorgehen treffen.«
»Aber Sie sind der einzige andere Offizier!«, sagt Shaftoe. »Außer dem Skipper, und der kann ohne Boot kein Skipper sein.«
»Sergeant Shaftoe!«, bellt Root in einer so gekonnten Imitation eines Marine, dass Shaftoe und Benjamin beide Haltung annnehmen.
»Sir! Jawohl, Sir!«, gibt Shaftoe zurück.
»Das ist der erste und letzte Befehl, den ich Ihnen erteilen werde, also hören Sie genau zu!«, sagt Root mit Nachdruck.
»Sir! Jawohl, Sir!«
»Sergeant Shaftoe, bringen Sie mich und den Rest dieser Einheit nach Schweden!«
»Sir! Jawohl, Sir!«, brüllt Shaftoe und marschiert aus der Kabine, wobei er Monkberg praktisch zur Seite rammt. Die anderen lassen die Codebücher liegen und folgen rasch.
Nach zirka halbstündigem Herumgemurkse mit Rettungsbooten findet sich Abteilung 2702 auf festem Land, in Norwegen, wieder. Die Schneegrenze liegt gut fünfzehn Meter über Meereshöhe; zum Glück kann Bobby Shaftoe mit einem Paar Skiern umgehen. Die SAS-Jungs kennen sich ebenfalls damit aus und sind sogar in der Lage, eine schlittenartige Vorrichtung zusammenzubasteln, mit deren Hilfe sie Lieutenant Monkberg ziehen können. Binnen weniger Stunden sind sie, Richtung Osten marschierend, tief in den Wäldern und haben, seit sie auf Grund gelaufen sind, kein menschliches Wesen, sei es Deutscher oder Norweger, gesehen. Es beginnt zu schneien, und der Schnee verwischt ihre Spuren. Monkberg benimmt sich – er verlangt nicht, dass man ihn zurücklässt, und er schießt auch keine Leuchtkugeln ab. Shaftoe glaubt allmählich, dass es möglicherweise eine der leichteren Übungen von Abteilung 2702 sein wird, sich nach Schweden durchzuschlagen. Das einzig Schwierige ist, wie üblich, zu kapieren, was die Scheiße eigentlich soll.
SORGFALT
Landkarten von Südostasien hängen an den Wänden und bedecken
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