Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
senkt sich wie ein Bleivorhang die Abenddämmerung herab und nachts jagen Wolfsrudel. Er steht auf der Brücke einer Korvette, eines winzigen Begleitschiffes, das bei jeder Art von Wellengang genau die gleiche Hydrodynamik aufweist wie ein leeres Ölfass. Wenn er unter Deck bleibt, wird er nie zu kotzen aufhören, deshalb steht er, die Füße weit auseinander gestellt und die Knie leicht gebeugt, an Deck, hält sich mit beiden Händen an einem Geländer fest und sieht zu, wie das Wrack näher kommt. Auf dessen Turm ist die Zahl 553 aufgemalt, unter der Karikatur eines Eisbären, der einen Bierkrug hebt.
    »Interessant«, sagt er zu Colonel Chattan. »Fünf-fünf-drei ist das Produkt zweier Primzahlen – sieben und neunundsiebzig.«
    Chattan bringt ein anerkennendes Lächeln zustande, aber Waterhouse merkt, dass das nichts weiter als eine spektakuläre Zurschaustellung guter Kinderstube ist.
    Inzwischen ist endlich auch der Rest von Abteilung 2702 eingetroffen. Nach dem erfolgreichen Abschluss des Havarie-Einsatzes in Norwegen waren die Leute auf dem Weg zu ihrer neuen Operationsbasis auf Qwghlm, als sie Nachricht vom Auflaufen von U-553 bekamen. Sie haben sich hier auf diesem Schiff mit Waterhouse getroffen – und noch nicht einmal Zeit gehabt, sich hinzusetzen, geschweige denn auszupacken. Waterhouse hat ihnen mehrmals versichert, wie sehr es ihnen auf Qwghlm gefallen wird, und jeder andere Gesprächsstoff ist ihm ausgegangen – die Mannschaft der Korvette hat keine Freigabe für Ultra Mega, und alles, worüber Waterhouse mit Chattan und den anderen irgend reden könnte, unterliegt der Geheimhaltung auf Stufe Ultra Mega. So versucht er es tapfer mit Geplauder über Primzahlen.
    Einige Männer der Abteilung – der Lieutenant der Marines und die meisten Gemeinen – sind auf Qwghlm abgesetzt worden, um sich in ihrem neuen Quartier einzurichten. Nur Colonel Chattan und ein Unteroffizier namens Sergeant Robert Shaftoe begleiten Waterhouse zu dem Unterseeboot.
    Shaftoe ist drahtig, mit den prallen Unterarmen und Händen eines Höhlenmenschen und einem blonden Bürstenschnitt, durch den seine großen blauen Augen noch größer wirken. Er hat eine große Nase, einen großen Adamsapfel, große Aknenarben und dazu noch ein paar Narben um die Augenhöhlen. Die ausgeprägten Züge des kraftvollen Körpers verleihen ihm eine intensive Ausstrahlung; es fällt schwer, nicht dauernd zu ihm hinüberzusehen. Er wirkt wie ein Mann mit starken Emotionen und einer noch stärkeren Disziplin, die sie im Zaum hält. Er starrt seinem jeweiligen Gesprächspartner unverwandt und ohne zu blinzeln in die Augen.Wenn niemand etwas sagt, starrt er zum Horizont und denkt. Wenn er denkt, dreht er unentwegt Däumchen. Jeder andere benutzt seine Finger dazu, sich an irgendetwas festzuhalten, aber Shaftoe ist aufs Deck gepflanzt wie ein fetter Kerl in einer Menschenschlange vor einem Kino. Wie Waterhouse, aber im Gegensatz zu Chattan, hat er schwere Schlechtwetterkleidung an, die sie sich aus den Beständen des Torpedobootes geborgt haben.
    Es ist bekannt und allen Anwesenden mitgeteilt worden, dass der Skipper des Unterseebootes – der letzte Mann, der von Bord ging – die Geistesgegenwart besessen hat, die Enigma des Bootes mitzunehmen. Von den noch immer am Himmel kreisenden RAF-Flugzeugen aus wurde beobachtet, wie sich der Skipper in seinem Rettungsfloß in eine kippelige kniende Haltung aufrichtete und die Walzen der Maschine in verschiedene Richtungen in die Steilhänge hügelgroßer Wellen schleuderte. Dann ging die Maschine selbst über Bord.
    Die Deutschen wissen, dass man die Maschine niemals wird bergen können. Sie wissen allerdings nicht, dass man nicht einmal danach suchen wird, denn es gibt einen Ort namens Bletchley Park, wo man schon alles über die vierwalzige Enigma der deutschen Kriegsmarine weiß, was es zu wissen gibt. Die Briten werden trotzdem so tun, als suchten sie danach, bloß falls irgendwer zuguckt.
    Waterhouse sucht nicht nach Enigma-Maschinen. Er sucht nach verirrten Pfeilspitzen.
    Die Korvette nähert sich dem Unterseeboot zunächst frontal, dann besinnt man sich eines Besseren, und sie fährt in weitem Bogen hinten um das Wrack herum und hält dann gegen den Wind darauf zu. Auf diese Weise, vermutet Waterhouse, wird der Wind sie tendenziell vom Riff wegdrücken. Von unten gesehen wirkt das Unterseeboot irgendwie pausbäckig. Der Teil, der sich normalerweise über Wasser befindet, wenn das Boot aufgetaucht

Weitere Kostenlose Bücher