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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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alles, was sie in den letzten fünf Minuten mit angesehen haben. Wozu sollen Rettungswesten gut sein?
    »Nur für alle Fälle!«, brüllt er. »Damit wir noch einen Tag für den Kaiser kämpfen können.« Dies Letztere sagt er mit schwacher Stimme.
    Einer der Männer, ein Junge, der in ihrer beider Kindheit ein paar Türen weiter gewohnt hat, tritt vor ihn, reißt ihm die Rettungsweste aus den Händen und wirft sie ins Meer. Er mustert Goto Dengo verächtlich von Kopf bis Fuß, dreht sich dann um und geht weg.
    Ein anderer brüllt und deutet mit dem Finger: Die zweite Welle von Flugzeugen kommt heran. Goto Dengo tritt an die Reling, um bei seinen Kameraden zu stehen, doch sie rücken von ihm ab. Ohne auf Widerstand zu treffen, greifen die amerikanischen Flugzeuge an, schwenken ab und lassen abermals nichts als hüpfende Bomben zurück.
    Goto Dengo sieht ein paar Hüpfer lang zu, wie eine Bombe genau auf ihn zukommt, bis er die auf ihre Nase gepinselte Mitteilung lesen kann: BÜCK DICH, TOJO!
    »Hier entlang!«, brüllt er. Er kehrt der Bombe den Rücken und geht übers Deck zu dem Spind voller Rettungswesten zurück. Diesmal folgen ihm ein paar von den Männern. Diejenigen, die ihm nicht folgen – vielleicht fünf Prozent der Bevölkerung des Dorfes Kulu – werden ins Meer katapultiert, als die Bombe unter ihren Füßen explodiert. Das Holzdeck wölbt sich aufwärts. Einer der Jungen von Kulu fällt, als sich ein über ein Meter langer Splitter senkrecht nach oben durch seine Eingeweide bohrt. Goto Dengo und vielleicht ein Dutzend andere schaffen es auf allen vieren zu dem Spind und greifen sich Rettungswesten.
    Er täte das nicht, wenn er den Krieg im tiefsten Innern nicht schon verloren hätte. Ein Krieger würde standhalten und sterben. Seine Leute folgen ihm nur, weil er es ihnen gesagt hat.
    Zwei weitere Bomben explodieren, während sie sich die Rettungswesten überstreifen und sich zur Reling zurückkämpfen. Die meisten Männer unter Deck sind mittlerweile wohl tot. Goto Dengo schafft es beinahe nicht zur Reling, weil sie sich jäh in die Luft erhebt. Er macht schließlich einen Klimmzug daran und schwingt ein Bein über das Geländer, das nun beinahe waagrecht liegt. Das Schiff kentert! Noch vier andere bekommen die Reling zu fassen, der Rest rutscht hilflos das Deck hinab und verschwindet in einem Loch voller Rauch. Goto Dengo ignoriert, was seine Augen ihm sagen, und versucht, auf sein inneres Ohr zu hören. Er steht jetzt auf der Seite des Schiffsrumpfes und sieht, als er zum Achterschiff blickt, eine der Schrauben sich sinnlos in der Luft drehen. Er beginnt, bergauf zu rennen. Die vier anderen folgen ihm. Ein amerikanisches Jagdflugzeug kommt heran. Dass sie unter Beschuss stehen, geht ihm erst auf, als er sich umdreht und sieht, dass die Geschosse einen Mann praktisch mittendurch geschnitten und einem zweiten das Knie zerrissen haben, sodass Unterschenkel und Fuß nur noch an ein paar Knorpelfetzen baumeln. Goto Dengo lädt sich den Mann wie einen Sack Reis auf die Schultern und macht kehrt, um weiter bergauf zu laufen, muss jedoch feststellen, dass es kein Bergauf mehr gibt, auf dem man laufen könnte.
    Er und die beiden anderen stehen nun auf dem höchsten Punkt des Schiffes, einem Stahlbuckel, der kaum mannshoch aus dem Wasser ragt. Auf der Suche nach einem Fluchtort dreht er sich einmal, dann noch einmal um und sieht nichts als Wasser um sich herum. Das Wasser blubbert und zischt wütend, während Luft und Rauch aus dem Inneren des havarierten Rumpfes schießen. Meer rauscht auf sie zu. Goto Dengo schaut hinab auf den Stahlknubbel, der ihn trägt, und wird gewahr, dass er noch immer, nur einen Moment noch, vollkommen trocken ist. Dann strömt die Bismarck-See von allen Seiten gleichzeitig auf seinen Füßen zusammen und beginnt an seinen Beinen hinaufzusteigen. Gleich darauf sackt die Stahlplatte weg, die eben noch so verlässlich gegen seine Stiefelsohlen drückte. Das Gewicht des Verwundeten auf seiner Schulter stößt ihn senkrecht ins Meer hinab. Dieselöl gerät ihm in die Nebenhöhlen und er windet sich unter dem Verwundeten hervor und kommt schreiend an die Oberfläche. Seine Nase und sämtliche Hohlräume seines Schädels sind mit Öl gefüllt. Er schluckt etwas davon und verfällt in Krämpfe, als sein Körper es gleichzeitig aus jeder Öffnung auszuwerfen versucht: er niest, kotzt, würgt es aus seinen Lungen. Als er sich mit einer Hand ins Gesicht greift, spürt er, wie dick das Öl

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