Cryptonomicon
Ich verzichte hiermit auf jegliche Einflussnahme des Staates auf den Datenfluss über meine Landesgrenzen hinweg oder innerhalb von ihnen. Unter keinen Umständen wird irgendein Mitglied dieser Regierung im Datenverkehr herumschnüffeln oder seine Macht dazu gebrauchen, diesen Verkehr einzuschränken. Das ist das neue Gesetz von Kinakuta. Machen Sie das Beste daraus, Gentlemen. Ich danke Ihnen.«
Der Sultan dreht sich um und verlässt unter respektvollem Applaus den Raum. Das sind die Grundregeln, Jungs. Jetzt lauft los und spielt!
Dr. Mohammed Pragasu, der kinakutanische Informationsminister, erhebt sich nun von seinem Sessel (der natürlich zur Rechten des Sultansthrons steht) und übernimmt das Ruder. Sein Akzent ist fast so amerikanisch wie der des Sultans britisch; sein Studium hat er in Berkeley absolviert und den Doktortitel in Stanford erworben. Randy kennt verschiedene Leute, die während dieser Jahre mit ihm gearbeitet und studiert haben. Ihnen zufolge erschien Pragasu selten in etwas anderem als T-Shirt und Jeans zur Arbeit und sein Appetit auf Bier und Pizza Salami unterschied sich kein bisschen von dem irgendeines Nicht-Muslim. Niemand hatte die blasseste Ahnung, dass er der Cousin zweiten Grades eines Sultans war und ein paar hundert Millionen Dollar Privatvermögen besaß.
Aber das liegt zehn Jahre zurück. In jüngerer Zeit, bei seinen Verhandlungen mit der Epiphyte Corp., war er besser gekleidet und hat ein besseres, aber bewusst legeres Benehmen an den Tag gelegt: nur Vornamen, bitte. Dr. Pragasu möchte gern Prag genannt werden. Bei jedem ihrer Treffen haben sie erst einmal hemmungslos die neuesten Witze ausgetauscht. Dann will Prag alles über seine alten Studienfreunde wissen, von denen die meisten jetzt im Silicon Valley arbeiten. Er erkundigt sich eingehend nach den neuesten, heißesten Hightech-Aktien, schwelgt einen Augenblick in Erinnerungen an die wilden Zeiten damals in Kalifornien und kommt dann zum Geschäft.
Niemand von ihnen hat Prag je so in seinem Element gesehen wie jetzt. Es ist ein bisschen schwierig, das Gesicht nicht zu verziehen – so als hätte sich ein alter Schulkamerad von ihnen einen Anzug geliehen und seinen Ausweis gefälscht und würde jetzt bei einer steifen Geschäftsbesprechung eine Witznummer inszenieren. Aber heute hat Dr. Pragasus Verhalten etwas Feierliches an sich, das beeindruckend, ja fast schon bedrückend wirkt.
Die chinesischen Typen auf der anderen Seite des Tisches sehen aus wie eine maoistische Version des Mount Rushmore; man kann sich überhaupt nicht vorstellen, dass einer von ihnen je im Leben gelächelt hat. Sie bekommen eine Direktübersetzung der Beiträge über Kopfhörer, die durch den geheimnisvollen Tisch mit einem Saal voller eifriger Dolmetscher verbunden sind.
Randys Aufmerksamkeit schweift ab. Prags Vortrag ist langweilig, weil er ein technisches Gebiet abdeckt, auf dem Randy sich bereits fürchterlich gut auskennt, und das auch noch in Form einfacher Vergleiche, damit es selbst nach der Übersetzung ins Mandarin, ins Kantonesische, Japanische oder was auch immer noch Sinn ergibt. Randy lässt seinen Blick um den Tisch wandern.
Da ist eine Delegation von Filipinos. Einer von ihnen, ein dicker Mann Mitte fünfzig, kommt ihm schrecklich bekannt vor. Wie üblich kann Randy sich nicht an seinen Namen erinnern. Dann ist da noch ein anderer Typ, der ziemlich spät allein auftaucht und zu einem einzelnen Sessel ganz am anderen Ende geführt wird: Er könnte ein Filipino mit viel spanischem Blut sein, ist aber wahrscheinlich eher ein Lateinamerikaner oder Südeuropäer oder einfach ein Amerikaner, dessen Vorfahren von dort stammen. Jedenfalls zieht er, kaum dass er sich in seinem Sessel niedergelassen hat, auch schon ein Handy aus der Tasche, gibt eine sehr lange Nummer ein und spricht mit gedämpfter angespannter Stimme hinein. Dabei wirft er ständig verstohlene Blicke über den Tisch, mustert der Reihe nach jede Delegation und blafft dann Kurzbeschreibungen in sein Handy. Es scheint ihn selbst zu überraschen, dass er hier ist. Keiner, der ihn sieht, kann umhin, seine Heimlichtuerei zu bemerken. Keiner, der ihn sieht, kann umhin, über den Grund dafür zu spekulieren. Aber gleichzeitig hat der Mann etwas Missmutiges, Finsteres an sich, was Randy erst auffällt, als dessen schwarze Augen sich auf ihn richten und ihn wie der Doppellauf einer Derringer anstarren. Zu verblüfft und zu naiv, den Kopf abzuwenden, erwidert Randy seinen Blick
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