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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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seine Haut überzieht, und weiß, dass er auf keinen Fall die Augen öffnen darf. Er versucht sich das Öl mit dem Ärmel vom Gesicht zu wischen, aber der Stoff ist damit durchtränkt.
    Er muss untertauchen und sich sauber wischen, aber das Öl in seinen Kleidern hält ihn oben. Seine Lungen sind mittlerweile frei und er holt keuchend Luft. Sie riecht nach Öl, aber sie ist zumindest atembar. Doch nun sind die flüchtigen Bestandteile des Öls in seinen Kreislauf gelangt und er spürt, wie sie sich feuergleich in seinem Körper ausbreiten. Es fühlt sich an, als würde ihm ein heißer Spatel zwischen Kopfhaut und Schädel getrieben. Die anderen Männer heulen wie Tiere und ihm wird bewusst, dass er das auch tut. Einige der chinesischen Arbeiter in Schanghai pflegten Benzindämpfe einzuatmen, um sich zu berauschen, und gaben dabei genau solche Laute von sich.
    Einer der Männer in seiner Nähe schreit. Er hört ein Geräusch näher kommen, als würde ein Laken zerrissen, um daraus Bandagen zu machen. Strahlende Hitze schlägt ihm wie eine Bratpfanne ins Gesicht, kurz bevor er taucht und sich mit den Beinen abwärts stößt. Die Bewegung entblößt einen Streifen Fleisch an seiner Wade, zwischen Stiefel und Hosenbein, der in dem Moment, in dem er aus dem Wasser schaut, gebraten wird.
    Er schwimmt blind durch einen Ozean von Dieselöl. Dann ändern sich Temperatur und Viskosität der Flüssigkeit, die ihm übers Gesicht strömt. Plötzlich beginnt ihn die Rettungsweste nach oben zu ziehen; er muss jetzt in Wasser sein. Er schwimmt ein paar Beinstöße weiter und beginnt sich die Augen zu wischen. Der Druck auf seinen Ohren verrät ihm, dass er nicht so tief ist, vielleicht zwei Meter unter der Wasseroberfläche. Schließlich riskiert er es, die Augen aufzumachen. Geisterhaftes, flackerndes Licht illuminiert seine Hände, lässt sie hellgrün schimmern; die Sonne muss herausgekommen sein. Er dreht sich auf den Rücken. Über ihm ist ein See von waberndem Feuer.
    Er reißt sich die Rettungsweste über den Kopf vom Leib und lässt sie los. Sie schießt senkrecht nach oben und durchstößt, wie ein Komet brennend, die Oberfläche. Seine öldurchtränkten Kleider ziehen ihn erbarmungslos aufwärts, deshalb reißt er sich das Hemd ab und lässt es der Oberfläche entgegentrudeln. Seine Stiefel ziehen abwärts, seine ölige Hose drückt nach oben und er erreicht eine Art Gleichgewicht.
     
     
     
    Er ist in den Minen großgeworden.
    Kulu liegt in der Nähe der Nordküste von Hokkaido, am Ufer eines Süßwassersees, in dem Flüsse aus den Hügeln im Landesinnern zusammenströmen und ihre Wasser miteinander vermischen, ehe sie sich in das Ochotskische Meer ergießen. Die Hügel erheben sich steil an einem Ende des Sees und türmen sich über einem kalten Silberbach, der aus einem nur von Affen und Dämonen bewohnten Wald herabstürzt. In diesem Teil des Sees gibt es kleine Inseln. Wenn man sich in diese Inseln oder in die Hügel hineingräbt, stößt man auf Kupferadern, zuweilen auch auf Zink, Blei und sogar Silber. Das tun die Männer von Kulu seit vielen Generationen. Ihr Denkmal ist ein die Hügel durchziehendes Labyrinth von Schächten, das nicht geraden Linien folgt, sondern den ergiebigsten Adern nachspürt.
    Manchmal senken sich die Schächte unter Seehöhe. Als die Minen noch in Betrieb waren, hat man diese Schächte ausgepumpt, doch nun, da sie erschöpft sind, hat man das Wasser in die Waagerechte zurückkehren lassen, und es hat Schachtsümpfe gebildet. Manche Höhlen und Schächte in den Hügeln können nur von Jungen erreicht werden, die tapfer genug sind, in das kalte schwarze Wasser zu springen und zehn, zwanzig, dreißig Meter weit durch die Dunkelheit zu tauchen.
    Als Junge ist Goto Dengo an allen diesen Orten gewesen. Er hat sogar ein paar davon entdeckt. Groß, dick und heiter, war er ein ziemlich guter Schwimmer. Er war nicht der beste Schwimmer, auch nicht der Beste im Atemanhalten. Er war noch nicht einmal der Mutigste (die Mutigsten haben keine Rettungswesten angelegt und sind wie Krieger in den Tod gegangen).
    Er hat sich an die Stellen gewagt, die die anderen mieden, weil er als einziger von allen Jungen von Kulu keine Angst vor den Dämonen hatte. Als er noch ein Kind war, ist sein Vater, ein Bergbauingenieur, mit ihm zu den Stellen in den Bergen gewandert, wo angeblich Dämonen hausten. Sie pflegten unter den Sternen zu schlafen und beim Aufwachen waren ihre Decken reifbedeckt und ihr Essen zuweilen

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