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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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fürchtet, sie wird gar nicht ins Meer fallen, sondern über das Wasser sausen, bis sie den Zerstörer trifft, der ihr genau im Weg steht. Doch wieder lächelt das Kriegsglück den Streitkräften des Kaisers; die Bombe verliert ihren Kampf mit der Schwerkraft und platscht ins Wasser. Goto Dengo wendet den Blick ab.
    Dann sieht er wieder hin, folgt einem Phantom am Rande seines Gesichtsfelds. Die Schaumflügel, die die Bombe aufgeworfen hat, sind noch nicht ganz zusammengefallen, doch hinter ihnen flitzt ein schwarzes Teilchen davon – vielleicht eine zweite, vom selben Flugzeug abgeworfene Bombe. Diesmal beobachtet Goto Dengo sie genau. Sie scheint aufzusteigen, anstatt zu fallen – vielleicht ein Spiegelbild. Nein, nein, er täuscht sich, nun verliert sie langsam an Höhe, pflügt ins Wasser und wirft ebenfalls ein Schaumflügelpaar auf.
    Und dann steigt die Bombe wieder aus dem Wasser. Goto Dengo, ein Student des Maschinenbaus, ruft die Gesetze der Physik an, das Ding zu packen und dafür zu sorgen, dass es fällt und untergeht, denn genau das müssten große, dumme Metallstücke eigentlich tun. Schließlich fällt es tatsächlich – und steigt gleich wieder auf.
    Es hüpft übers Wasser wie die flachen Steine, die die Jungen von Kulu über den Fischteich beim Dorf schnellen ließen. Zutiefst fasziniert sieht Goto Dengo zu, wie die Bombe noch mehrere Male aufhüpft. Wieder hat das Kriegsglück für ein bizarres Schauspiel gesorgt, und das scheinbar aus keinem anderen Grund als dem, ihn zu unterhalten. Er kostet es aus, als wäre es eine Zigarette, die man ganz unten in seiner Tasche entdeckt. Hüpf, hüpf, hüpf.
    Genau in die Flanke eines der Zerstörer des Geleits. Ein Geschützturm fliegt senkrecht in die Luft und überschlägt sich dabei immer wieder. Als er gerade seinen Scheitelpunkt erreicht, wird er vollständig von einem Flammengeysir eingehüllt, der aus dem Maschinenraum des Schiffes schießt.
    Die Jungen von Kulu setzen ihren Sprechchor fort, weigern sich zu akzeptieren, was sie mit eigenen Augen sehen. Am Rand von Goto Dengos Gesichtsfeld blitzt etwas auf; er schaut hin und sieht einen zweiten Zerstörer wie einen trockenen Zweig in zwei Teile zerbrechen, während seine Munitionsdepots in die Luft fliegen. Überall hüpfen nun winzige schwarze Gegenstände über den Ozean, wie Flöhe auf den zerknüllten Laken eines Schanghaier Bordells. Der Sprechchor verstummt. Stumm sieht alles zu.
    Die Amerikaner haben mitten im Krieg eine neue Bombentaktik erfunden und fehlerlos umgesetzt. Sein Verstand taumelt wie ein Betrunkener auf dem Gang eines schwankenden Eisenbahnwaggons. Sie haben erkannt, dass sie etwas falsch gemacht haben, sie haben ihren Fehler eingestanden, sie sind auf einen neuen Gedanken gekommen. Dieser neue Gedanke wurde akzeptiert und hat sich bis an die Spitze der Befehlskette durchgesetzt. Und nun benutzen sie ihn, um ihre Feinde zu töten.
    Kein Krieger mit irgendeinem Ehrbegriff wäre so memmenhaft gewesen. So prinzipienlos . Welch ein Gesichtsverlust es für die Offiziere gewesen sein muss, die ihre Männer dazu ausgebildet hatten, aus großer Höhe zu bombardieren. Was ist aus ihnen geworden? Sie müssen sich alle umgebracht haben oder vielleicht auch im Gefängnis gelandet sein.
    Die amerikanischen Marines in Schanghai waren auch keine richtigen Krieger. Änderten ständig ihr Verhalten. Wie Shaftoe. Shaftoe hat sich auf der Straße mit japanischen Soldaten angelegt und den Kürzeren gezogen. Nachdem er den Kürzeren gezogen hatte, hat er beschlossen, eine neue Taktik zu lernen – von Goto Dengo. »Die Amerikaner sind keine Krieger«, sagten alle ständig. »Geschäftsleute vielleicht. Krieger nicht.«
    Die Soldaten unter Deck johlen und stimmen Sprechchöre an! Sie haben nicht die leiseste Ahnung, was wirklich vor sich geht. Einen kurzen Moment lang reißt Goto Dengo den Blick von der See voller explodierender und sinkender Zerstörer los. Er orientiert sich an einem Spind voller Rettungswesten.
    Die Flugzeuge scheinen mittlerweile alle verschwunden zu sein. Er sucht den Geleitzug ab und findet keinen einzigen Zerstörer in funktionstüchtigem Zustand.
    »Zieht die Rettungswesten an!«, brüllt er. Keiner der Männer scheint ihn zu hören und so hält er auf den Spind zu. »He! Zieht die Rettungswesten an.« Er nimmt eine heraus und hält sie hoch, falls sie ihn nicht hören können.
    Sie können ihn durchaus hören. Sie sehen ihn an, als wäre das, was er da tut, entsetzlicher als

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