Cryptonomicon
»Er duscht.« Tatsächlich kann man jetzt die Rohre in der Wand zischen hören. »Sein Laptop strahlt.«
»Ach so«, sagt Randy, »Tom Howards Zimmer ist gleich nebenan?«
»Hinter dieser Wand«, antwortet Cantrell. »Ich habe es eigens so verlangt, damit ich diese Wette gewinnen kann. Sein Zimmer ist ein Spiegelbild von diesem hier, das heißt sein Computer ist nur ein paar Zentimeter entfernt, gleich hinter dieser Wand. Perfekte Bedingungen zum Van-Eck-Phreaken.«
»Pekka, bekommst du jetzt gerade Signale von seinem Computer?«, fragt Randy.
Pekka nickt, tippt und gibt zurück: »Ich mache die Abstimmung. Die Eichung.« Das Eingabegerät für seinen Sprachcomputer ist ein einhändig zu bedienendes Symbolbrett, das an seinem Oberschenkel festgeschnallt ist. Er legt die rechte Hand darauf und macht schwingende, tastende Bewegungen. Augenblicke später kommt die Sprachausgabe: »Ich brauche Cantrell.«
»Entschuldige mich«, sagt Cantrell und stellt sich neben Pekka. Mit einer vagen Ahnung von dem, was sie da tun, schaut Randy ihnen ein bisschen über die Schulter.
Wenn man ein weißes Blatt Papier auf einen alten Grabstein legt und mit einer Bleistiftspitze darüber fährt, bekommt man einen waagerechten, an manchen Stellen dunklen, an anderen blassen, nicht sehr bedeutungsvollen Strich. Bewegt man den Stift nun um die Breite dieses Strichs nach unten und fährt erneut über das Blatt, entsteht langsam ein Bild. Dieses sich Strich für Strich nach unten Arbeiten würde ein Nerd Rasterverfahren oder einfach Abtasten nennen. Bei einem herkömmlichen Monitor – einer Kathodenstrahlröhre – tastet der Elektronenstrahl physikalisch etwa sechzig bis achtzig Mal pro Sekunde das Glas ab. Bei einem Laptop-Bildschirm wie dem von Randy gibt es kein physikalisches Abtasten; die einzelnen Pixels werden direkt ein- oder ausgeschaltet. Dennoch findet ein Rasterverfahren statt; was abgetastet und auf dem Bildschirm sichtbar gemacht wird, ist ein Bereich im Speicher des Computers, den man Bildwiederholspeicher nennt. Dessen Inhalte müssen sechzig bis achtzig Mal pro Sekunde auf den Bildschirm geworfen werden, sonst gibt es (1) ein Flimmern auf dem Monitor oder (2) die Bilder bewegen sich ruckartig.
Der Computer kommuniziert nicht mit einem, indem er unmittelbar den Bildschirm steuert, sondern durch die Manipulation der in diesem Speicher vorhandenen Bits, wobei er sich darauf verlassen kann, dass die anderen Subsysteme in der Maschine die stumpfsinnige Arbeit des Weiterleitens der Information an den tatsächlichen physischen Bildschirm übernehmen. Sechzig bis achtzig Mal pro Sekunde, dann sagt das Videosystem: Stopp! Zeit, den Bildschirm wieder aufzufrischen, und geht an den Anfang des Bildwiederholspeichers – der, wie gesagt, nichts als ein bestimmter Speicherbereich ist – und liest die ersten paar Bytes, die angeben, welche Farbe das Pixel in der linken oberen Bildschirmecke haben soll. Diese Information gelangt durch die Leitung an die Einheit, die den Bildschirm letztlich auffrischt, sei es ein abtastender Elektronenstrahl oder irgendein laptopartiges System, das die Pixels direkt steuert. Dann werden die nächsten paar Bytes gelesen, die natürlich das Pixel gleich rechts von diesem ersten bestimmen, und immer so weiter bis zum rechten Bildschirmrand. Damit ist der erste Strich des Grabsteinrubbelbilds gezogen.
Jenseits des rechten Bildschirmrands gibt es keine Pixel mehr. Es versteht sich, dass die nächsten Bytes, die im Speicher gelesen werden, das Pixel ganz links außen in der zweiten Rasterzeile von oben betreffen. Falls es sich um einen Kathodenröhrenbildschirm handelt, entsteht hier ein kleines Timingproblem, denn der Elektronenstrahl befindet sich jetzt am rechten Bildschirmrand, soll aber am linken ein Pixel erzeugen. Er muss also zurücklaufen. Das dauert eine gewisse Zeit – nicht lange, aber viel länger als das Zeitintervall zwischen der Erzeugung zweier unmittelbar nebeneinander liegender Bildpunkte. Diese Pause nennt man Horizontalrücklaufintervall . Sie kehrt am Ende jeder Zeile wieder, bis die Abtastung beim letzten Pixel in der rechten unteren Ecke des Bildschirms angelangt und ein kompletter Grabsteinrubbelvorgang beendet ist. Doch dann kommt der Moment, wo alles von vorne beginnt, und der Elektronenstrahl (wenn es einen gibt) muss über die ganze Diagonale hinweg zum äußersten Pixel links oben zurückspringen. Auch das dauert eine Weile und heißt Vertikalrücklaufintervall .
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