Cryptonomicon
Tages, als sie sich auf dem Achterdeck sonnen. »Anstatt Ihnen ein Etikett aufzupappen, würde ich Sie lieber als ›morphiumsüchtig‹ bezeichnen. Das leitet sich von dem Wort ›suchen‹ her. Man könnte einen Morphiumsüchtigen somit als Morphiumsucher oder Morphiumsuchenden auffassen. ›Sucher‹ ist mir lieber, weil es bedeutet, dass Sie die Neigung haben, Morphium zu suchen.«
»Scheiße, wovon reden Sie eigentlich?«, fragt Shaftoe.
»Na ja, angenommen, Sie haben einen Tank mit einem Loch drin. Das heißt, der Tank ist leck. Er ist immer leck – auch wenn im Augenblick nichts drin ist. Lecken aber tut er nur, wenn er etwas enthält. Ebenso bedeutet ›morphiumsüchtig‹, dass Sie immer die Tendenz haben, nach Morphium zu suchen, auch wenn Sie im Augenblick nicht danach suchen. Aber beide, ›süchtig‹ und ›suchend‹, sind mir lieber als ›abhängig‹, weil sie nähere Bestimmungen von Bobby Shaftoe sind, anstatt ihn auszulöschen.«
»Und was soll das Ganze?«, fragt Shaftoe. Er fragt, weil er damit rechnet, dass Root ihm gleich einen Befehl gibt, denn darauf läuft es bei Männern der redseligen Art normalerweise hinaus, nachdem sie eine Weile gequasselt haben. Aber es scheint kein Befehl zu kommen, weil das bei Root nicht auf dem Programm steht. Root hatte einfach nur Lust, über Worte zu reden. Die SAS-Jungs bezeichnen derlei Betätigung als Wichserei.
Mit diesem Waterhouse hat Shaftoe während ihres Aufenthalts auf Qwghlm wenig unmittelbaren Kontakt gehabt, aber ihm ist aufgefallen, dass Männer, die gerade mit Waterhouse geredet haben, im Weggehen gewöhnlich den Kopf schütteln – und zwar nicht langsam, als verneinten sie etwas, sondern mit den heftig zuckenden Bewegungen eines Hundes, dem eine Pferdebremse ins Mittelohr geraten ist. Waterhouse gibt niemals direkte Befehle, deshalb wissen Männer der ersten Kategorie nicht, was sie von ihm halten sollen. Aber Männern der zweiten Kategorie geht es offensichtlich nicht besser; Typen wie er reden normalerweise, als hätten sie ein Programm im Kopf und hakten im Reden kleine Kästchen ab, doch Waterhouses Gespräch hat keine bestimmte Richtung. Für ihn ist das Reden keine Methode, um einem einen Haufen Zeug mitzuteilen, das er schon ausklamüsert hat, sondern eine Möglichkeit, sich im Reden einen Haufen neuen Scheiß auszudenken. Und er scheint immer zu hoffen, dass man dabei mitmacht. Was kein Aas jemals tut, außer Enoch Root.
Als sie einen Tag auf See sind, kommt der Kapitän (Commander Eden – dasselbe arme Schwein, das den Job bekam, mit seinem vorherigen Schiff Norwegen zu rammen) aus seiner Kabine gewankt, wobei er jede Reling oder sonstige Festhaltemöglichkeit in Reichweite seines Gefuchtels ausnutzt. Er verkündet lallend, dass von jetzt an jeder, der an Deck gehe, laut Befehl von ganz oben einen schwarzen Rollkragenpullover, schwarze Handschuhe und eine schwarze Skimaske unter seiner sonstigen Kleidung zu tragen habe. Die betreffenden Artikel würden dementsprechend an die Männer ausgegeben. Shaftoe bringt den Skipper richtig auf die Palme, indem er ihn dreimal fragt, ob er auch sicher sei, dass er den Wortlaut des Befehls korrekt wiedergegeben habe. Dass Shaftoe von den Mannschaften so geschätzt wird, liegt unter anderem daran, dass er es versteht, derartige Fragen zu stellen, ohne direkt die Regeln der militärischen Etikette zu verletzen. Dem Skipper ist zugute zu halten, dass er nicht einfach seinen Dienstgrad heraushängen lässt und Shaftoe anschnauzt. Er nimmt ihn mit in seine Kabine und zeigt ihm ein kakifarben eingebundenes Army-Handbuch mit dem in schwarzen Buchstaben aufgedruckten Titel:
TAKTISCHE NEGER-IMITATION
BAND III: NEGER DER KARIBIK
Es ist selbst nach den Maßstäben von Abteilung 2702 ein ziemlich interessanter Befehl. Auch Commander Edens Betrunkenheit ist irgendwie beunruhigend – nicht die Tatsache, dass er betrunken ist, sondern der spezielle Typ von Betrunkenheit – die Betrunkenheit etwa eines Bürgerkriegssoldaten, der weiß, dass ihm der Feldarzt mit einer Handsäge den Oberschenkel amputieren wird.
Nachdem Shaftoe die Ausgabe der Rollkragenpullover, Handschuhe und Skimasken an die Männer beaufsichtigt und ihnen gesagt hat, sie sollen sich abregen und die Übung mit den Rettungsbooten noch einmal wiederholen, findet er Root in der Kabine, die als Krankenrevier dient. Weil er es an der Zeit findet, eines jener Gespräche mit offenem Ende zu führen, in denen man versucht, einen Haufen
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