Cryptonomicon
lassen.
Er findet ein Stück Sand, das nicht mit Wasser bedeckt ist, dreht sich herum und setzt sich darauf. Der Junge aus Okinawa ist direkt hinter ihm, ebenfalls auf allen vieren, und der Junge aus Tokio hat sich tatsächlich hochgerappelt und watet an Land, wobei ihn die herankommenden Wellen dahin und dorthin stoßen. Er lacht.
Der Junge aus Okinawa plumpst neben Goto Dengo in den Sand und versucht nicht einmal, sich aufzusetzen.
Eine Welle stößt den Jungen aus Tokio um. Lachend plumpst er in die Brandung und streckt eine Hand aus, um seinen Sturz abzufangen.
Er hört zu lachen auf und zuckt heftig zurück. Etwas baumelt an seinem Unterarm: eine sich windende Schlange. Mit einer peitschenden Bewegung schleudert er sie von sich und sie fliegt ein Stück weiter weg ins Wasser.
Verschreckt und ernüchtert platscht er das letzte halbe Dutzend Schritte den Strand hinauf und schlägt dann der Länge nach hin. Bis Goto Dengo ihn erreicht, ist er mausetot.
Eine Zeit lang, die schwer abzuschätzen ist, sammelt Goto Dengo Kräfte. Mag sein, dass er im Sitzen eingeschlafen ist. Der Junge aus Okinawa liegt noch immer im Sand und deliriert. Goto Dengo kommt schließlich auf die Beine und wankt davon, um Trinkwasser zu suchen.
Sie befinden sich nicht auf einem richtigen Strand, sondern lediglich auf einer Sandbank, etwa zehn Meter lang und drei Meter breit, aus der oben irgendein hohes, grasartiges Zeug sprießt. Auf ihrer anderen Seite liegt eine brackige Lagune, die zwischen Ufern nicht aus Erde, sondern aus ineinander verfilzter, lebendiger Materie mäandert. Dieses Gewirr ist offensichtlich zu dick, als dass man es durchdringen könnte. Und so watet Goto Dengo ungeachtet dessen, was dem Jungen aus Tokio gerade passiert ist, in die Lagune und hofft, dass sie landeinwärts zu einem Süßwasserbach führt.
Er wandert schätzungsweise eine Stunde lang, aber die Lagune führt ihn nur wieder ans Meeresufer zurück. Er gibt es auf und trinkt das Wasser, in dem er watet, in der Hoffnung, dass es nicht ganz so salzig ist. Das führt zu heftigem Erbrechen, dennoch geht es ihm danach irgendwie etwas besser. Wieder watet er in den Sumpf, versucht, das Geräusch der Brandung hinter sich zu lassen, und stößt nach ungefähr einer Stunde auf einen Bach, der tatsächlich Süßwasser führt. Nachdem er sich daraus satt getrunken hat, fühlt er sich kräftig genug, zurückzumarschieren und den Jungen aus Okinawa, falls nötig, hierher zu tragen.
Am Nachmittag gelangt er zum Strand zurück und muss feststellen, dass der Junge aus Okinawa verschwunden ist. Doch der Sand ist von Fußabdrücken zerwühlt. Da er trocken ist, sind die Fußabdrücke zu undeutlich, um sie lesen zu können. Sie müssen auf eine Patrouille gestoßen sein! Bestimmt haben ihre Kameraden von dem Angriff auf den Konvoi erfahren und kämmen nun die Strände nach Überlebenden ab. Nicht weit weg im Dschungel muss es ein Biwak geben!
Goto Dengo folgt der Spur in den Dschungel. Nachdem er ungefähr eine Meile zurückgelegt hat, überquert der Pfad eine kleine, schlammige Lichtung, wo er die Fußabdrücke deutlich zu sehen bekommt: Sie stammen von nackten Füßen mit riesigen, grotesk gespreizten Zehen. Fußabdrücke von Menschen, die nie im Leben Schuhe getragen haben.
Vorsichtig bewegt er sich noch ein paar hundert Meter weiter. Nun kann er Stimmen hören. Die Armee hat ihm alles über die Taktik der Dschungelinfiltration beigebracht, und wie man mitten in der Nacht durch die feindlichen Linien schleicht, ohne ein Geräusch zu machen. Allerdings sind sie, als sie das in Japan geübt haben, nicht die ganze Zeit bei lebendigem Leibe von Ameisen und Moskitos gefressen worden. Aber das spielt jetzt kaum eine Rolle für ihn. Eine Stunde geduldige Arbeit bringt ihn zu einem günstigen Beobachtungsspunkt, von wo aus er auf eine ebene Lichtung blicken kann, über die sich ein Bach mit stehendem Wasser schlängelt. Mehrere lange, dunkle Hütten mit Dächern aus buschigen Palmwedeln stehen auf Baumstumpfstelzen über dem Matsch.
Ehe er den Jungen aus Okinawa sucht, muss Goto Dengo etwas zu essen besorgen. Mitten auf der Lichtung dampft auf einem offenen Feuer ein Topf mit weißem Brei, aber um ihn kümmern sich mehrere kräftig aussehende Frauen, nackt bis auf ein kurzes Gefranse aus faserigem Zeug, das sie sich um die Taille gebunden haben und das kaum ihre Genitalien bedeckt.
Auch aus einigen der Langhäuser steigt Rauch auf. Aber um in eines hineinzukommen, müsste
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