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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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er die schwere, schräge Leiter hinaufklettern und sich dann durch eine dem Anschein nach ziemlich kleine Türöffnung zwängen. Ein Kind, das mit einem Stock innen an der Türöffnung stünde, könnte jeden Eindringling am Hereinkommen hindern.Vor manchen Türöffnungen hängen aus Stoffstücken zusammengeflickte Säcke (also haben sie zumindest Textilien), die mit großen runden Klumpen gefüllt sind: möglicherweise Kokosnüsse oder irgendein haltbar gemachtes Nahrungsmittel, das man hoch gehängt hat, um es vor den Ameisen zu schützen.
    Mitten auf der Lichtung haben sich etwa siebzig Leute um etwas Interessantes geschart. Gelegentlich, wenn sie sich bewegen, bekommt Goto Dengo flüchtig einen Mann, möglicherweise einen Japaner, zu sehen, der, die Hände auf dem Rücken, am Fuße einer Palme sitzt. Sein Gesicht ist blutbeschmiert und er bewegt sich nicht. Die ihn umstehen, sind größtenteils Männer und fast alle tragen Speere. Auch sie haben sich das Gefranse aus haarigem Zeug, das die Geschlechtsteile verbirgt, um die Taille geschlungen, und einige der Größeren und Älteren sind mit um die Arme gebundenen Stoffstreifen geschmückt. Manche haben sich mit hellem Lehm Muster auf die Haut gemalt. Sie haben sich verschiedene, teils ziemlich große Gegenstände seitlich durch die Nasenscheidewand getrieben.
    Der blutbeschmierte Mann hat offenbar die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen und Goto Dengo schätzt, dass dies seine einzige Chance sein wird, etwas zu essen zu stehlen. Er entscheidet sich für das Langhaus, das von der Stelle, wo sich die Dorfbewohner versammelt haben, am weitesten entfernt liegt, klettert die Leiter hinauf und langt nach dem prallen Sack, der am Eingang hängt. Aber der Stoff ist sehr alt und von der Feuchtigkeit des Sumpfes, vielleicht auch von den Angriffen Hunderter von Fliegen, die ihn umsummen, mürbe geworden, sodass Goto Dengos Finger, als er danach greift, geradewegs hindurchgehen. Ein langer Streifen reißt davon ab und der Inhalt kullert ihm auf die Füße. Die Stücke sind dunkel und irgendwie haarig, wie Kokosnüsse, aber ihre Form ist komplizierter, und er weiß intuitiv, dass etwas nicht stimmt, noch ehe er sie als Menschenschädel erkennt. Vielleicht ein halbes Dutzend. Kopf- und Gesichtshaut haften noch daran. Ein paar sind dunkelhäutig mit buschigem Haar, wie die Eingeborenen, andere sehen eindeutig japanisch aus.
    Einige Zeit später ist er wieder imstande, zusammenhängend zu denken. Ihm geht auf, dass er nicht weiß, wie lange er, in voller Sicht der Dorfbewohner, hier oben gestanden und die Schädel angestarrt hat. Er schaut sich nach den Eingeborenen um, aber die allgemeine Aufmerksamkeit konzentriert sich noch immer auf den Verletzten, der am Fuß des Baumes sitzt.
    Von seinem Beobachtungspunkt aus kann Goto Dengo erkennen, dass es sich tatsächlich um den Jungen aus Okinawa handelt und dass man ihm die Arme hinter dem Baum zusammengebunden hat. Ein Junge von vielleicht zwölf Jahren steht vor ihm, in der Hand einen Speer. Er tritt zaghaft vor und stößt ihn plötzlich dem Jungen aus Okinawa in den Leib; der fährt hoch und wirft sich hin und her. Davon offenbar erschreckt, springt der Junge zurück. Ein älterer Mann, den Kopf mit einer Kette aus Muschelschalen geschmückt, tritt halb hinter, halb neben den Jungen, zeigt ihm, wie er den Speer halten muss, führt ihn wieder nach vorn. Mit vereinten Kräften rammen sie dem Jungen aus Okinawa den Speer genau ins Herz.
    Goto Dengo fällt von dem Haus herunter.
    Die Männer geraten in große Begeisterung, heben sich den Jungen auf die Schultern und tragen ihn unter Gebrüll, Luftsprüngen, Verrenkungen und trotzigem Geschüttel ihrer Speere auf der Lichtung herum. Bis auf die kleinsten Kinder folgen ihnen alle. Goto Dengo, von dem Sturz auf den schlammigen Boden geprellt, aber nicht ernsthaft verletzt, robbt in den Dschungel und sucht sich ein Versteck. Die Frauen des Dorfes gehen mit Töpfen und Messern zur Leiche des Jungen aus Okinawa hinüber und beginnen sie mit dem bemerkenswerten Geschick eines Sushi-Kochs, der einen Thunfisch zerlegt, zu zerschneiden.
    Eine konzentriert sich ausschließlich auf den Kopf. Plötzlich springt sie in die Luft, beginnt über die Lichtung zu tanzen und schwenkt dabei etwas Helles, Glitzerndes. » Ulab! Ulab! Ulab!«, kreischt sie ekstatisch. Ein paar Frauen und Kinder heften sich an ihre Fersen und versuchen zu erkennen, was sie da in der Hand hält. Schließlich bleibt sie

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