Cryptonomicon
auf eine schöne Tiefe eingestellt, und als er unter dem Schiff hindurchgeht, registriert die Detonations-Schaltung eine Veränderung des Magnetfeldes und zündet die Ladung, die den Schiffskiel zerknackt, dem Kahn das Kreuz bricht und ihn mit unglaublicher Geschwindigkeit auf den Grund schickt. Die nächsten fünf bis zehn Minuten lang schnellen, während das Schiff dem Meeresboden entgegensackt, aus den Laderäumen Ballen irgendeines braunen Zeugs an die Wasseroberfläche. Das verleiht der ganzen Szene ein unerwartet festliches Gepräge.
So mancher Unterseeboot-Skipper wäre zu diesem Zeitpunkt durchaus imstande, die Überlebenden unter Maschinengewehrfeuer zu nehmen, bloß um ein bisschen Dampf abzulassen.
Doch der Kommandant, Kapitänleutnant Günter Bischoff, ist noch kein eingetragenes Mitglied der Nazi-Partei und wird es wahrscheinlich nie werden.
Andererseits steckt Bischoff im Augenblick in einer Zwangsjacke und ist vor lauter Medikamenten halb durchgedreht.
Stellvertretender Kommandant des Unterseebootes ist Oberleutnant zur See Karl Beck. Er ist Mitglied der Nationalsozialistischen Partei und wäre unter anderen Umständen vielleicht für eine kleine Strafaktion mit dem Maschinengewehr zu haben, doch im Moment ist er erschöpft und ziemlich heftig erschüttert. Er ist sich sehr intensiv der Tatsache bewusst, dass er nun, da ihre Position weitergemeldet wurde, wahrscheinlich nicht mehr sehr lange zu leben hat.
Also lässt er es sein. Die Neger springen aus den Rettungsbooten, schwimmen zu den Ballen und klammern sich daran fest, sodass nur nur noch ihre Köpfe aus dem Wasser ragen, denn ihnen ist klar, dass es ewig dauern würde, sie alle zur Strecke zu bringen. OL Beck weiß, dass die Liberators und Catalinas bereits in der Luft sind und Kurs auf ihn nehmen, er muss also schleunigst von hier verschwinden. Da er über reichlich Treibstoff verfügt, beschließt er, eine Zeit lang Südkurs zu halten und nach ein, zwei Tagen, wenn die Luft vielleicht ein bisschen reiner sein wird, umzudrehen und wieder nordwärts zu laufen. So ähnlich würde es KL Bischoff machen, wenn er nicht verrückt geworden wäre, und vor dem Alten hat jedermann auf dem Boot unbegrenzten Respekt.
Wie immer, wenn sie nicht gerade konkrete Anstrengungen machen, einen Geleitzug zu versenken, fahren sie über Wasser, damit sie Funkmeldungen absetzen und empfangen können. Beck gibt Oberfunkmaat Huffer eine Meldung, worin er berichtet, was eben geschehen ist, und Huffer gibt sie einem seiner Funkmaate, der sich vor die Enigma von U-691 setzt, die Meldung mit dem Tagesschlüssel verschlüsselt und sie dann ins Funkgerät klopft.
Eine Stunde später bekommen sie Antwort vom Unterseeboot-Kommando in Wilhelmshaven, und als der Funkmaat sie durch die Enigma laufen lässt, erhält er: UEBERLEBENDE OFFIZIERE GEFANGEN NEHMEN.
Es handelt sich um ein klassisches Beispiel militärischer Führungskunst: Wäre der Befehl zeitiger gekommen, hätte er sich leicht befolgen lassen, doch nun, da sie eine Stunde weit weg sind, wird die Sache äußerst schwierig und gefährlich. Der Befehl ergibt keinen Sinn und wird auch nicht näher erläutert.
Angesichts der Zeitdifferenz glaubt Beck, dass er mit einem halbherzigen Versuch davonkommt. Eigentlich müsste er wenden und sich dem Wrack über Wasser nähern, was schneller ginge, aber nahezu selbstmörderisch wäre. Also schließt er statt dessen die Luken und geht im Näherkommen auf Sehrohrtiefe. Das reduziert die Geschwindigkeit des Unterseeboots auf ein Schneckentempo von sieben Knoten, sodass sie ungefähr drei Stunden brauchen, um zu dem Atoll aus vor sich hin dümpelnden braunen Ballen zu kommen, das den Schauplatz markiert.
Und das ist verdammt gut so, denn es ist noch ein Unterseeboot da, das Überlebende auffischt. Ein Unterseeboot der Royal Navy.
Das ist so sonderbar, dass sich Beck davon die Nackenhaare sträuben – und Haare sind dort reichlich vorhanden, weil sich Beck, wie die meisten Unterseeboot-Fahrer, seit Wochen nicht mehr rasiert hat. Allerdings gibt es nichts Sonderbares, dem nicht mit einem gut gezielten Torpedo abzuhelfen wäre. Sekunden später explodiert das Unterseeboot wie eine Bombe; der Torpedo muss seine Munitionsvorräte hochgejagt haben. Die Mannschaft und die meisten geretteten Neger sitzen darin fest und haben keine Chance hinauszukommen, selbst wenn sie die Explosion überlebt haben. Das Unterseeboot sackt so rasch ab, wie das Wrack der Hindenburg auf New Jersey
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