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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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beherbergen, die diese Waffen bedienen. Über Topside erhebt sich ein Gewirr von Antennen. Ihre Formen sind Shaftoe vertraut, weil sich auch über Station Alpha in Schanghai viele solcher Antennen erhoben, die er hat auseinander nehmen und auf den Lkw laden müssen.
    Am Fuß eines gewaltigen Kalksteinkliffs, das fast bis ins Meer hinein abfällt, liegt der Eingang zu dem Tunnel, in dem sämtliche Nachrichtendienstler und Funker ihr Versteck haben. Nahebei befindet sich eine Pier, an der es im Moment recht lebhaft zugeht: von zivilen Transportschiffen werden Versorgungsgüter gelöscht und direkt auf dem Strand aufgestapelt. Dieses Detail wird von allen Marines als eindeutiges Zeichen dafür gewertet, dass der Krieg näher rückt. Die Augusta wirft in der kleinen Bucht Anker und das ganze in Planen gewickelte Funkzubehör wird auf Barkassen umgeladen und zusammen mit den komischen Bleistifthälsen von der Navy, die dieses Gerät in Schanghai bedient haben, zu der Pier gebracht.
    Die Dünung legt sich, als sie an Corregidor vorbei in die Bucht einfahren. Grünlich-braune Algen treiben in Kringeln und Schnörkeln nahe der Wasseroberfläche. Kriegsschiffe legen braune Rauchstränge über das ruhige Meer. Vom Wind ungestört, entfalten sie sich zu zerklüfteten Formen, die durchscheinenden Gebirgszügen ähneln. Sie passieren den großen Militärstützpunkt auf Cavite – ein derart niedriges und flaches Landstück, dass die Begrenzungslinie zum Wasser ohne die Postenkette der Palmen nicht zu sehen wäre. Darauf erheben sich ein paar Hangars und Wassertürme, und weiter landeinwärts niedrige, dunkle Kasernengebäude. Manila liegt genau vor ihnen, noch immer in Dunst gehüllt. Es wird langsam Abend.
    Dann löst sich der Dunst auf, die Luft wird so klar wie die Augen eines Kindes, und eine Stunde lang können sie unendlich weit sehen. Sie dampfen in eine Arena voller gewaltiger Gewitterwolken, durch die sich ringsum Blitze herabschlängeln. Zwischen Ambossen lugen wie abgebrochene Schieferstücke flache graue Wolken hervor. Hinter ihnen wölben sich höhere Wolken, die im Licht der untergehenden Sonne rosa und lachsfarben schimmern, bis halb zum Mond empor. Dahinter weitere Wolken, wie in Seidenpapier eingewickelter Christbaumschmuck in feuchte Luftmassen geschmiegt, Flächen blauen Himmels, weitere Gewitterwolken, die dreißig Kilometer lange Blitze austauschen. Himmel, eingebettet in in Himmeln eingebettete Himmel.
    In Schanghai oben war es kalt und seither ist es jeden Tag wärmer geworden. An manchen Tagen war es sogar heiß und schwül. Aber etwa zu der Zeit, wo Manila in Sicht kommt, streicht eine warme Brise übers Deck und sämtliche Marines seufzen, als hätten sie alle gleichzeitig einen Erguss gehabt.
    Manilas Düfte
    Von den Palmen gefächelt
    Schenkel von Glory
     
    Manilas weitläufige Ziegeldächer haben von ihrer Form her etwas Mischlinghaftes, halb Spanisches, halb Chinesisches. Die Stadt verfügt über einen konkaven Hafendamm mit einer flachen Promenade. Spaziergänger drehen sich um und winken den Marines zu; einige von ihnen werfen Kusshände. Eine Hochzeitsgesellschaft quillt die Stufen einer Kirche hinunter und über den Boulevard auf den Uferdamm, wo sie sich im schmeichelhaften, pfirsichfarbenen Licht des Sonnenuntergangs fotografieren lässt. Die Männer tragen ihre ausgefallenen, hauchdünnen Filipino-Hemden oder amerikanische Uniformen, die Frauen spektakuläre Roben und Kleider. Die Marines johlen und pfeifen, und die Frauen wenden sich ihnen zu, schürzen leicht ihre Röcke, um nicht zu stolpern, und winken begeistert. Den Marines wird schwummrig und sie fallen praktisch über Bord.
    Während ihr Schiff sich an die Pier heranschiebt, durchstößt ein halbmondförmiger Schwarm fliegender Fische die Wasseroberfläche. Er entfernt sich wie eine über die Wüste gewehte Düne. Die Fische sind silbern und wie Blätter geformt. Jeder trifft mit einem metallischen Klicken aufs Wasser, und die Geräusche verschmelzen zu einem scharfen Reißen. Der Halbmond gleitet unter einen Anleger, umfließt dessen Pfahlwerk und verschwindet in den Schatten darunter.
    Manila, die Perle des Orients, am frühen Sonntagabend, den 7. Dezember 1941. In Hawaii, auf der anderen Seite der Datumsgrenze, ist es kurz nach Mitternacht. Bobby Shaftoe und seine Kameraden haben ein paar Stunden Freiheit. Die Stadt ist modern, wohlhabend, englischsprachig und christlich, bei weitem die reichste und höchstentwickelte Stadt in

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