Cryptonomicon
Verpflichtungen in Bars und Restaurants, wo Shaftoe lernte, vier Arten von Seegras, drei Arten von Fischrogen und mehrere Geschmacksrichtungen von japanischer Dichtkunst zu unterscheiden. Natürlich hatte er nicht den leisesten Schimmer, wovon darin die Rede war, aber er konnte Silben zählen, und soviel er mitkriegte, war das eigentlich schon alles, was es zum Verständnis von Nip-Gedichten brauchte.
Nicht dass diese – oder irgendwelche anderen – Kenntnisse von ihrer Kultur ihm nun, da es bald seine Aufgabe sein wird, sie zu töten, irgendetwas nützen werden.
Im Gegenzug brachte Shaftoe Goto Dengo bei, nicht wie ein Mädchen zu werfen. Viele Nips sind gute Baseballspieler und so fanden selbst sie es zum Schießen, wie ineffektiv ihr kräftiger Freund sich mit einem Baseball abmühte. Aber es war Shaftoe, der Goto Dengo beibrachte, sich seitlich zur Wurfrichtung zu stellen, die Schultern kreisen zu lassen und durchzuschwingen. Er hat der Wurftechnik des massigen Nips im vergangenen Jahr viel Aufmerksamkeit geschenkt und vielleicht ist das der Grund, warum das Bild von Goto Dengo, wie er auf den Quadersteinen des Bund die Füße setzt, ausholt, die in das flatternde Band gewickelte Granate wirft und auf einem im Kampfstiefel steckenden Fuß fast geziert durchschwingt, Shaftoe bis nach Manila und darüber hinaus im Gedächtnis haften bleibt.
Ein paar Tage nach Fahrtantritt wird deutlich, dass Sergeant Frick verlernt hat, wie man seine Schuhe putzt. Jeden Abend stellt er sie neben seiner Koje aufs Deck, als erwarte er, dass in der Nacht ein Kuli vorbeikommt und sie auf Hochglanz wienert. Jeden Morgen wacht er auf und findet sie in noch jämmerlicherem Zustand vor. Nach ein paar Tagen beginnt er sich Verweise von oben einzuhandeln und wird alle naselang zum Kartoffelschälen eingeteilt.
Nun ist dieses Unvermögen an und für sich verzeihlich. Immerhin hat Frick seine Karriere damit begonnen, dass er auf dem High Chaparral Desperados mit Schulterpatronengurten von Postzügen wegjagte. Im Jahre 27 wurde er dann ganz kurzfristig nach Schanghai verfrachtet und musste zweifellos eine gewisse Anpassungsfähigkeit an den Tag legen. Schön. Und nun befindet er sich auf diesem elenden Pott aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und das ist ein bisschen hart für ihn. Schön. Aber er nimmt das alles nicht mit der Würde hin, die Marines von anderen Marines verlangen. Er jammert darüber. Er lässt sich davon unterkriegen. Er wird wütend. Eine Menge anderer alter China-Marines sehen die Dinge genau so wie er.
Als Bobby Shaftoe eines Tages mit ein paar von den anderen jungen Marines an Deck des Zerstörers einen Baseball herumwirft, sieht er, wie sich auf dem Achterdeck ein paar von den älteren Kerlen zu einer Art Menschenklumpen zusammenscharen. Ihrem Gesichtsausdruck und ihren Gesten sieht er an, dass sie lamentieren.
Shaftoe hört, wie sich nahebei zwei Leute von der Schiffsbesatzung unterhalten. »Was ist denn den Marines da über die Leber gelaufen?«, fragt der eine. Der andere schüttelt traurig den Kopf, wie ein Arzt, der gerade gesehen hat, wie ein Patient die Augen auf Null stellt. »Die armen Schweine haben zu viel Asien abgekriegt«, sagt er.
Und dann drehen sie sich um und sehen Shaftoe an.
An diesem Abend in der Messe schlingt Shaftoe sein Essen mit doppelter Geschwindigkeit hinunter, steht dann auf und nähert sich dem Tisch, an dem die Marines der alten Schule missmutig zusammensitzen. »Verzeihung, Sergeant!«, brüllt er. »Bitte um Erlaubnis, Ihre Schuhe putzen zu dürfen, Sarge!«
Fricks Mund klappt auf, sodass ein halb gekautes Stück gekochtes Rindfleisch zum Vorschein kommt. »Wie war das, Corporal?«
In der Messe ist es still geworden. »Bitte ergebenst um Erlaubnis, Ihre Schuhe putzen zu dürfen, Sarge!«
Frick ist nicht einmal in nüchternem Zustand der aufgeweckteste Bursche der Welt und schon ein Blick auf seine Pupillen macht ziemlich deutlich, dass er und seine Kameraden Opium mit an Bord gebracht haben. »Tja, äh, also gut«, sagt er. Er sieht sich nach seiner Mannschaft von Nörglern um, die ein bisschen verwirrt und ein bisschen amüsiert sind. Er schnürt seine Schuhe auf. Bobby Shaftoe nimmt die schändlichen Dinger mit und bringt sie etwas später auf Hochglanz poliert zurück. Frick hat inzwischen Oberwasser gekriegt. »Also, die Stiefel sehen wirklich prima aus, Corporal Shaftoe«, sagt er mit unangenehm lauter Stimme. »Als Schuhputzer bist du mindestens genau so
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